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Zeit der Sternschnuppen

Zeit der Sternschnuppen

Titel: Zeit der Sternschnuppen
Autoren: Herbert Ziergiebel
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weicht er ihnen unwirsch aus, beschleunigt seine Schritte, bis er vor einem Polizeirevier verharrt. Einen Augenblick bleibt er unentschlossen stehen. Dann öffnet er die Haustür, eilt mit steinernem Gesicht die Treppen hinauf. Das Polizeirevier befindet sich im ersten Stock.
    In der Wachstube halten sich ein Oberwachtmeister und ein Wachtmeister auf. Für sie ist die Silvesternacht kein Vergnügen gewesen. Raufereien zwischen Betrunkenen und Verbrennungen durch das Mitternachtsfeuerwerk haben keine Langeweile aufkommen lassen. Erst seit einer halben Stunde ist etwas Ruhe eingetreten. Die beiden haben es sich bequem gemacht, die Uniformjacken geöffnet. Auf dem Tisch steht eine halbgeleerte Flasche Wein, daneben zwei Gläser und ein Damespiel, das ihnen die Dienstzeit verkürzen soll. Ein Läuten an der Tür unterbricht ihre Beschäftigung.
    Der Oberwachtmeister schließt sein Jackett, öffnet. Was den jungen Mann zu dieser späten Stunde zur Polizei getrieben hat, ist wenig erfreulich. Ein Kofferradio sei ihm gestohlen worden. Doch er begnügt sich nicht damit, Anzeige zu erstatten; er verlangt auch aufgeregt, als handle es sich um kostbaren Schmuck, man möge die Diebe noch heute festnehmen. Seine Anklage klingt reichlich verworren. Der Diebstahl sei in einem Autobus außerhalb der Stadt erfolgt, er habe ihn aber erst jetzt bemerkt.
Die Forderung des nächtlichen Besuchers, sogleich den Polizeiapparat in Bewegung zu setzen, zeugt von Naivität. Außerdem sei dies Sache der Polizei des Diebstahlortes, gibt der Oberwachtmeister zu verstehen. Der junge Mann läßt sich nicht irritieren. Man brauche nur den Busfahrer ausfindig zu machen. Dieser kenne die Burschen wahrscheinlich, die ihm sein Transistorradio entwendet hätten. Sogar die Uhrzeit des Diebstahls kann er angeben: null Uhr sechzehn.
Der Oberwachtmeister zuckt die Schultern. Die Sache werde ihren Gang nehmen. Er will ein Protokoll aufsetzen; in einigen Tagen wisse man mehr. Es sei eine Illusion, zu glauben, noch in dieser Silvesternacht zu einem Erfolg zu gelangen. Nun wird der Besucher heftig. Er schimpft auf die Bürokratie, verweist auf seine Rechte als Staatsbürger und Steuerzahler und anderes mehr. Seine Gereiztheit überträgt sich auf den Oberwachtmeister, der sich diesen Ton energisch verbittet. »Nicht solche Töne im neuen Jahr, mein Herr!« erwidert er ungehalten. »Bitte Ihren Personalausweis.«
Diese Aufforderung bewirkt bei dem jungen Mann eine überraschende Veränderung. Sein Gesicht nimmt einen etwas verlegenen Ausdruck an. »Ich bedaure«, murmelt er, »ich besitze keinen Personalausweis, ich gelte als vermißt. Mein Name ist Hans Weyden, Römische Straße fünf – Sie können meine Frau anrufen…«
Verwunderte, zweifelnde Blicke; der jüngere Wachtmeister, der sich bis jetzt mehr für die Stellung der Steine auf dem Brettspiel interessiert hat, steht auf, zieht einen Karteikasten aus dem Wandschrank.
»Es war ein Irrtum, der sich leicht aufklären läßt«, versichert Weyden, »morgen oder übermorgen wäre ich ohnehin deswegen zu Ihnen gekommen…«
Der Wachtmeister hat eine Karte herausgezogen, liest: »Weyden, Hans, Römische Straße fünf. Geboren einundvierzig. Beruf Graphiker. Haarfarbe dunkelblond, Augen blau, Größe einssiebenundsiebzig…« Einige Sekunden betrachtet er Weyden kritisch, überprüft die Angaben und fahrt dann fort: »Seit dem vierzehnten Juli Vergangenen Jahres vermißt. Unglücksfall nicht ausgeschlossen. Johanna Weyden, Ehefrau, geboren vierundvierzig…«
»Ich habe Ihnen doch erklärt, daß alles auf einem Irrtum beruht«, unterbricht ihn Weyden, »ich werde das aufklären. Jetzt kümmern Sie sich bitte um den Diebstahl, ich muß unbedingt den Sender zurückhaben, heute noch…«
Den Sender? Hat er wirklich Sender gesagt? Der Oberwachtmeister hat es gehört, deutet es als einen Versprecher. Viel wichtiger erscheint ihm jetzt etwas anderes. »Wo haben Sie sich denn in diesen fünfeinhalb Monaten aufgehalten, Herr Weyden?«
Die Antwort kommt zögernd. Er sei in Jauernick gewesen, einem kleinen Dorf, habe dort bei einer Freundin gewohnt.
So etwas kennt man aus Romanen und Filmen, geht es dem Oberwachtmeister durch den Kopf. Bei einer Freundin – eine schöne Ehe. Na ja, Graphiker. Diese Künstler. Macht auch ganz den Eindruck eines Bohemien… Weydens Bekenntnis wertet die Ernsthaftigkeit seines Anliegens erheblich ab.
»Wieso haben Sie sich eigentlich in Jauernick nicht gemeldet?« will der Wachtmeister
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