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Zeit der Eisblueten

Zeit der Eisblueten

Titel: Zeit der Eisblueten
Autoren: Kitty Sewell
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Verärgert schlug der Bär nach seiner Peinigerin. Wieder wich sie seinen Krallen mit einem Satz aus und biss ihm in die Hinterbeine. Frustriert und wütend drehte sich der Bär im Kreis.
    In einem Moment der Klarheit bemerkte der Junge, dass das Gewehr in seiner Nähe lag, und er versuchte, dorthin zu kriechen, aber vergebens. Er konnte sich nicht bewegen. Er konnte kaum noch atmen.
    Während er nach Luft rang, begann sich etwas in ihm zu verändern. Eine stille Gelassenheit erfüllte seine Brust. Er wusste, dass sein Ende nahe war, aber er stellte fest, dass er kein Bedauern empfand. Da er sich keine weiteren Gedanken und Gefühle erlaubte, verebbte auch seine Angst. Sein Körper entspannte sich, und mit dem Mut des nahenden Todes drehte er den Kopf, um sich dem Unvermeidlichen zu stellen.
    Mit leichtem Erstaunen sah er einen gekrümmten alten Mann hinter dem wahnsinnigen Wirbel aus weißem und grauem Fell auftauchen. Der Junge kannte ihn aus einer Zeit, die lange, lange zurücklag.
    Müde schlurfte der Mann durch den Schnee auf den Jungen zu. »Komm, mein Sohn«, sagte er. »Nimm meine Hand.« Er streckte seine knotige Hand nach dem Jungen aus. Aber sosehr sie sich auch mühten, einander zu erreichen – ihre Finger berührten sich nicht.

ERSTER
TEIL

KAPITEL
1
    Cardiff, 2006
    D OKTOR D AFYDD W OODRUFF blickte auf das Gesicht seiner Frau hinab, ein wenig gleichgültig. Seiner Meinung nach war es zu früh, um sich zu lieben. Isabel litt unter Schlaflosigkeit und hatte es sich angewöhnt, ihn in den Stunden des Morgengrauens wachzurütteln. Sie stieß ihn mit den Knien, streifte mit ihren Brustwarzen über seinen Rücken, wälzte sich herum und seufzte.
    Aber wenn sie schließlich sein Interesse geweckt und ihn herumbekommen hatte, wie an diesem Morgen, schien sie oft weit weg zu sein und tat fast so, als schlafe sie. Er wusste es besser. Ihre Augen waren zu fest geschlossen, und auf der Stirn zeigte sich eine verräterische Furche der Konzentration. Für Isabel war dies Arbeit.
    Als ihr Rhythmus heftiger wurde, streckte sie die Arme über ihren Kopf aus und umklammerte zwei Bettpfosten. Das Bett wankte hin und her und stieß grob an die Wand. Die Schrauben des Bettrahmens hatten sich gelockert. Das taten sie in regelmäßigen Abständen immer wieder, und Dafydd vergaß ständig, sie festzuziehen. Er versuchte, seine Bewegungen zu drosseln, aber Isabel stöhnte klagend.
    Als eine leichte Röte auf ihrer Brust erschien und sich ihre Schenkel fester um seine Hüften klammerten, überkam ihn ein ungutes Pflichtgefühl. Wie stets, versuchte er, sich ihr anzuschließen. Er machte die Augen zu und hoffte, dass ihn die Flut ihres Höhepunktes mit sich reißen würde. Aber verdammt, nein.
    »Mach weiter.« Sie öffnete wachsam die Augen und fixierte ihn wie drohend. »Glaub ja nicht, dass ich mit dir fertig bin.«
    »Soll das ein Witz sein?«, erwiderte er beruhigend und fuhr fort. Aber so sehr er auch die Zähne zusammenbiss, die Situation war nicht zu retten. Die tiefe Ambivalenz, die er gegenüber der ganzen Geschichte empfand, hatte einen direkten Einfluss auf seine zentralen Körperteile. Er verlangsamte seine Bewegungen und hörte auf.
    »Das war’s schon?«, fragte sie mit gekünstelter Fröhlichkeit. »Mein letzter fruchtbarer Tag.«
    »Oh, sei nicht so, Schatz«, sagte Dafydd und rollte sich von ihr weg. »So was läuft nun mal nicht genau nach Plan.«
    Obwohl Isabels Gesicht durch die Anstrengung noch vor Hitze gerötet war, zog sie das Bettlaken bis unters Kinn und starrte an die Decke. Dafydd drehte sich seufzend zu ihr um.
    »He, Isabel, es tut mir leid. Dein Körper mag vielleicht nach dem Kalender funktionieren, aber meiner tut das nicht.«
    »Gut«, sagte sie. »Aber bitte erklär mir, was genau ich falsch mache.«
    »O Gott, Isabel, bitte nicht. Es ist fünf Uhr morgens.« Er ließ sich auf den Rücken fallen und blickte durch das Dachfenster in die aufsteigende Dämmerung. Müde griff er nach ihrer Hand. »Lass uns schlafen. Dein letzter fruchtbarer Tag hat noch nicht mal begonnen.«
    »Wenn du meinst.« Sie wandte ihm den Rücken zu, aber schon bald änderte sich ihr Atem und wurde tief und ruhig.
    Dafydd versuchte, seine Gedanken abzuschalten und das ärgerliche Gefühl, er habe versagt, zu verdrängen. Aber die Kakophonie der Vögel im Garten klang ungewöhnlich schrill, geradezu beängstigend. Zitternd zog er die Decken um seinen auskühlenden Körper.
    Er war endlich eingeschlummert, da hörte er,
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