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Zeit der Eisblueten

Zeit der Eisblueten

Titel: Zeit der Eisblueten
Autoren: Kitty Sewell
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Stressanzeichen handelte; das waren sie schon immer gewesen. Sofort war er gereizt.
    »Oh. Um Gottes willen, natürlich habe ich das nicht getan.«
    »Gut, und nun?«
    Er wusste nicht, was er antworten sollte, und fragte sich, warum er ihr den Brief überhaupt gezeigt hatte. Es war nur natürlich, dass sie bestürzt darauf reagierte und ihn dazu befragen wollte. Er hätte ihn zerreißen und in den Mülleimer werfen und den Kaffeesatz über die Papierschnipsel streuen können. Damit wäre die Sache vermutlich erledigt gewesen.
    »Ich kenne ihren Namen. Sheila Hailey war die Oberschwester in dem Krankenhaus, in dem ich gearbeitet habe. Aber ich kann dir versichern, dass ich nie etwas mit ihr hatte.« Das Brennen breitete sich nach oben, zu seinem Gesicht hin aus. »Ich schwöre dir, dass ich einfach keinerlei Nachkommen in Moose Creek haben kann. Das ist völlig unmöglich.« Die ganze Sache war absurd. »Und lass uns nicht vergessen«, setzte er hinzu, »dass meine Spermienzahl, wie du mir so oft vorhältst, drei Erbsen in einem Eimer entspricht.«
    »Ja, ich weiß«, stimmte Isabel zu. »Aber das ist heute so.« Sie ließ sich gegen das Kopfende sinken und nippte nervös an ihrem Kaffee. Sein heftiges Abstreiten hatte sie offensichtlich nicht beruhigt. Keiner der beiden sagte ein Wort.
    Dafydd schloss die Augen und ließ sein Jahr in Kanada Revue passieren. Konnte er jemanden geschwängert und nie davon erfahren haben? Er war nie promiskuitiv gewesen, das war nicht sein Stil. Aber es war nicht unmöglich. Er hatte damals nicht gerade zölibatär gelebt. Aber angesichts seiner Übervorsicht, eine unerwünschte Vaterschaft zu verhindern, war es unwahrscheinlich. Außerdem ging es hier um eine spezielle Frau, Sheila Hailey, und dieser Frau war er nie nahegekommen.
    »Kann es sein, dass du dich betrunken, diese Frau gevögelt und das Ganze einfach vergessen hast?«, fragte Isabel.
    Er verstand, dass sie bestürzt war, aber ihm gefiel die Schärfe in ihrer Stimme nicht. »Isabel, du kennst mich doch und müsstest wissen, dass das nicht zu mir passt. Und verzeih mir, aber gevögelt habe ich noch nie.«
    Isabel lächelte. »Natürlich hast du das, Schatz. Warum gehst du so in die Defensive? Das ist eine absolut plausible Möglichkeit.«
    Er lachte auf. »Ich gehe nicht in die Defensive. Verdammt, du weißt alles über mich, was man nur wissen kann. Ich garantiere dir, dass es sich um einen Irrtum handelt. Oder irgendjemand dort ist total verrückt geworden. Vor lauter Einsamkeit, oder was weiß ich.«
    Er wollte nichts vor ihr verheimlichen, das hatte sie nicht verdient, aber tatsächlich wusste sie nicht alles über ihn, was man wissen konnte, nicht restlos alles. In all den Jahren, in denen sie einander ihre Vergangenheit und ihre Einstellung sowie all die kleinen begangenen Sünden, die beschämendsten und die unsittlichsten, offenbart hatten, war es ihm gelungen, den größten Teil seiner arktischen Erfahrungen auszulassen – ein Fenster seines Lebens, das zu zerbrechlich und in mancher Hinsicht auch zu kostbar war, um es ihrem scharfen Blick auszusetzen.
    Das auf acht Uhr eingestellte Radio erwachte plötzlich zum Leben. Isabel reckte sich, um es auszuschalten, aber Dafydd streckte die Hand aus, um sie davon abzuhalten. »Lass uns die Nachrichten hören.«
    »Jetzt? Ist das dein Ernst?« Sie funkelte ihn zornig an und drehte es laut. Beide taten, als lauschten sie den schnell aufeinanderfolgenden Berichten über die Schrecken und Katastrophen des Tages – Autobomben im Irak, Überschwemmungen in China und das andauernde humanitäre Elend im Sudan. Nach ein paar Minuten schaltete sie den Apparat einfach ab. »Dafydd. Sollten wir nicht miteinander sprechen?«
    Er brauchte einige Sekunden, um in die Gegenwart zurückzukehren und den Blick auf seine Umgebung zu konzentrieren. Er betrachtete seine Frau. Das Licht vom Fenster fiel auf ihr dichtes blondes Haar; es veränderte sich ständig und irisierte, als träfen Sonnenstrahlen auf Wasser. Die Störung des Morgens ließ ihre adlerartigen Gesichtszüge schärfer hervortreten. Ihre Nase erschien hakenförmiger, und ihre wachen braunen Augen sahen stechend aus. Isabel war eine beeindruckende Frau, vor allem in schwierigen Situationen. Sie hatte sich stets über die Nachteile beklagt, die es mit sich brachte, wenn man groß war und stark wirkte. Männer hielten solche Frauen nie für verletzlich. Sie mussten für sich selbst sorgen, sich selbst die Türen öffnen. Sie hatte
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