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Zehn Tipps, das Morden zu beenden und mit dem Abwasch zu beginnen

Zehn Tipps, das Morden zu beenden und mit dem Abwasch zu beginnen

Titel: Zehn Tipps, das Morden zu beenden und mit dem Abwasch zu beginnen
Autoren: Hallgrimur Helgason
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egal zu sein. Als ob er allen möglichen Kram gesehen hätte: wie seine Frau und seine Töchter vergewaltigt und zerstückelt wurden, zum Beispiel. Ohne ein Wort zu sagen, ging er an mir vorbei und auf die Kirchentür zu. Ich rannte hinter ihm her und sagte in lupenreinem Kroatisch, dass NIEMAND die Kirche betreten durfte. Befehl ist Befehl.
    »ABSOLUT NIEMAND!«, schrie ich in sein haariges Ohr.
    Er schloss lediglich für einen Moment die Augen und ging dann weiter Richtung Tür. Ich versuchte, ihn mit meinem Gewehr wegzustoßen, doch das klappte irgendwie nicht. Ich konnte diesen alten Mann nicht körperlich angreifen, er war der fleischgewordene Geist der Menschheit oder so was in der Art. In seligster Sonntagsruhe nahm er einen großen Schlüssel und wollte die Holztür aufschließen. Ich war seit vier Jahren im Krieg gewesen und hatte mehr Leute erschossen, als in meinem Stammbuch standen, aber trotzdem zitterte ich am ganzen Körper. Was zum Teufel ging hier vor? Ich wurde verarscht von einem 80-jährigen unbewaffneten Mönch! Als ich ihn in der Kirche verschwinden sah, drehte ich durch und schoss ihm in den Rücken. Er fiel auf den Steinfußboden, wie gekreuzigt, ganz im Einklang mit dem Typen, der weiter vorne an der Wand hing.
    Ich knallte die Tür zu, setzte mich und lehnte mich mit dem Rücken dagegen. Gern hätte ich geweint, aber der Krieg hatte alle Tränen ausgetrocknet. Also saß ich einfach nur da, versteinert, und verfluchte den ganzen Scheiß: mein Land, sein Land, unser Land und den ganzen verdammten Krieg. Ungefähr zwanzig Zigaretten lang bewegte ich mich nicht von der Stelle. Ein Sonntag in der Hölle. Ich hatte einen Priester erschossen. Ich hatte schon andere alte Männer getötet und sogar einen Mann, der auch eine Frau hätte sein können, ohne diese Art von Moralkater. Aber dieser Priester lastete so schwer auf mir wie das Gewicht der ganzen Kapelle. Ich konnte spüren, wie mir Hörner auf der Stirn wuchsen und ein Schwanz an meinem Hintern, bis ich schließlich nicht mehr sitzen konnte.
    Dann verlor ich den Verstand. Ein befremdliches Gefühl machte sich in mir breit. Mir war, als ob ich den Knall meines Gewehrschusses noch immer in der kleinen Dorfkapelle hören konnte; das furchtbare Geräusch schien nach und nach den ganzen Raum zu füllen, bis zur Glocke. Das bronzene Scheißding bebte vor Zorn. Bald war auch mein Kopf voll von metallischem Dröhnen, und ich feuerte auf die Kirchenglocke, wie ein verrückter Junge in einem schlechten Cowboyfilm, der seinen Frust an ein paar Hühnern abreagiert. Die Glocke schrie in den Nebel hinaus.
    Nachdem ungefähr fünfzehn Kugeln die Glocke geläutet hatten, hörte ich andere Schüsse. Reflexartig schmiss ich mich ins nasse Gras. Ein Schneesturm aus Kugeln war das, direkt aus der Hölle. In Sekundenbruchteilen waren alle Kirchenfenster zersprungen, und kaum einen Augenblick später pustete eine Explosion das ganze heilige Ding in die Luft. Trümmer trommelten auf meinen Rücken wie ein Masseur mit Eisenfingern, und ein Stein zerdellte meinen Helm. Halb bewusstlos lag ich da.
    Wer seine Hand gegen einen Mann der Kirche erhebt, wird durch die Kirche umkommen.
    Seitdem hatte ich nie wieder eine von innen gesehen. Über Wochen und Monate hinweg quälte der Anblick dieses auf dem Steinboden gekreuzigten 80-jährigen Jesus meine junge, kranke Seele. Nacht für Nacht hämmerte ich ihm einen großen eisernen Nagel durch den Rücken ins Herz, bis es explodierte und nichts Unrotes in meiner Welt zurückließ.
    Im Bordfernsehen läuft Seinfeld. Alte Folgen, alte Frisuren. Seinfeld ist ein typischer Ami. Ein ganz lustiger Typ, aber sein Kleidungsstil ist noch lustiger als er. Geschmacklose Kleidung und geschmackvolle Witze. Andersherum wäre es mir lieber.
    Der Mann neben mir liest ein monströses Taschenbuch, das aussieht wie einer dieser Mafia-Thriller (wie viel kann man eigentlich über diese sizilianischen Schlappschwänze noch schreiben?). Gelegentlich sieht er sich gezwungen, ein Ja oder Nein in Richtung des älteren Herrn zu murmeln, der am Gang sitzt und sich aus einer rezeptpflichtig aussehenden Packung eine Pille nach der anderen reinpfeift. Anscheinend machen die ihn ziemlich gesprächig, denn er lässt seinen armen Sitznachbarn keine zwei Seiten lesen, bis er die nächste Frage stellt. So einen befremdlichen Akzent habe ich lange nicht mehr gehört. Es stellt sich heraus, dass der Quatschkopf Isländer ist und der Leser ein Basketballspieler aus
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