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Zebraland

Zebraland

Titel: Zebraland
Autoren: Marlene Roeder
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Elmar. Er quatscht alle Leute mit »Mohn« an, seit er dieses Interview gelesen hat, in dem Bob Marley seinen Interviewpartner so angesprochen hat. Elmar ist der größte Bob-Marley-Fan auf Erden. Der einzige Grund, warum er kein Rastapatois spricht, die Sprache der jamaikanischen Gettos, ist, dass ihn dann keine Gurke mehr verstehen würde.
    »Ist wegen deinem Alten, oder?«, hakte Elmar jetzt nach.
    Ich zuckte die Achseln. Im Hintergrund dröhnte Exodus in Endlosschleife aus dem CD -Player.
    Plötzlich erklärte Elmar in ernstem Ton: »Ich finde, wir sollten Bob Marley adoptieren!«
    »Bob Marley ist tot«, sagte ich.
    »Sei doch nicht immer so negativ!«, erwiderte Elmar. »Angenommen, er wäre noch am Leben. Und wir würden ihm zufällig mal über den Weg laufen. Nur mal angenommen! Dann würde Old Bob uns bestimmt sofort als seine Söhne erkennen.«
    Ich glotzte Elmar an. Sein Gesicht sah ebenso unjamaikanisch aus wie meines.
    Elmar stöhnte. »Söhne auf einer geistigen Ebene, Mohn! Ich meine, Bob würde sofort erkennen: Hey, diese Jungs haben den Flow. Die sind richtig, die beiden. Klaro?«
    Ich nickte langsam.
    Elmar laberte weiter: »Wusstest du, dass Bob Schweißer gelernt hat? Während dieser Zeit hat er sein Talent entdeckt. Der Rest ist Musikgeschichte!« In Elmars Gesicht trat ein schwärmerischer Ausdruck, sein rotes Ziegenbärtchen schien zu glühen. »Stell dir vor, Old Bob nimmt dich mit auf seine Tourneen! Jede Menge Gitarren und Groupie s … und Geld wie Heu!«
    »Mir würde schon reichen, wenn mein Vater für mich Unterhalt zahlen könnte«, grummelte ich.
    Elmar winkte ab. »Komm, vergiss die Niete. Wir adoptieren einfach Bob! Ist doch praktisch, so ein Vater ohne Risiken und Nebenwirkungen.«
    »Und außerdem tot«, warf ich ein.
    »Tot, aber Jamaikaner«, bekräftigte Elmar. »Und mit Idealen! Wie hört sich das für dich an: Elmar Marley?«
    »Bescheuert.«
    Wir lachten.
    »Nicht so bescheuert wie dein Name, Mohn.« Elmar verzog das Gesicht, als läge mein Name ihm auf der Zunge wie etwas Ungenießbares. »Fridoli n … nee du, das geht gar nicht. Wir müssen dich dringend umtaufe n … Einer von Bobs Söhnen heißt Ziggy. Der ist auch Musiker. Zigg y – das ist doch mal ein Hammer-Name, oder?«
    Elmar sprang plötzlich auf: »Ach ja, ich hab da noch was für dich! Ist aber nicht verpackt.«
    Er verschwand in seinem Kabuff nebenan und kam kurz danach mit meinem Geschenk wieder. »Sie ist zwar nur vom Flohmarkt, aber jetzt steht deiner Musikerkarriere nichts mehr im Weg e …«
    Es war eine leicht zerkratzte Gitarre. »Hier, für dich, Ziggy«, sagte Elmar.
    So kam ich am selben Tag zu einer Gitarre und zu einem neuen Namen.
    Kurz darauf gründeten Elmar und ich unsere Band, die Sons of the Rastaman .
    Ziggy Radinski, Gitarre.
    Elmar Marley, Bongo und Gesang.
    Eigentlich wollte Elmar, dass ich singe. Er ist überzeugt davon, dass ich eine großartige Stimme habe, die nur darauf wartet, von der Welt entdeckt zu werden.
    »Die wartet keineswegs darauf, entdeckt zu werden. Das würde ich doch wissen«, sage ich immer, wenn er davon anfängt. »Der einzige Ort, an dem ich jemals singen werde, ist meine Dusche.«
    »Da wird aber die Gitarre nass, Mohn«, entgegnet Elmar dann betrübt. »Warum stellst du dein Licht so untern Scheffel? Vielleicht solltest du dein Quietscheentchen mit auf die Bühne nehmen, um deine Schüchternheit zu überwinden.«
    So ist Elmar. Total crazy. Claudia hat Recht, er ist ein großes Kind.
    Aber eins weiß ich genau: Von sechs Milliarden Menschen, die auf diesem Planeten rumrennen, ist er der, dem ich meine Geschichte am ehesten erzählen kann. Schließlich hat Bob Marley uns beide adoptiert. Auch wenn der nichts davon weiß und leider schon tot ist.
    Von Elmar selbst sind im Moment nur die abgelatschten Turnschuhe zu sehen, denn er liegt auf seinem Rollbrett und schraubt am Fahrzeugboden eines Volvos herum.
    Er kennt mich gut, er merkt gleich, dass etwas nicht stimmt. Aber im Gegensatz zu meiner Mutter weiß er, wie er mich zum Reden kriegt: Er lässt mich einfach in Ruhe, so lange, bis mir mein eigenes Schweigen auf den Kopf fällt.
    Während der letzten Monate ist das Schweigen so schwer geworden, dass es mich langsam begräbt und ich darunter ersticke. Ich gehe daran kaputt. Die Wahrheit muss endlich raus, egal was dann passiert.
    Doch wo soll ich anfangen, an welchem Faden ziehen, um dieses wirre Knäuel in meinem Inneren zu lösen? Wie soll ich die Geschichte
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