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Zauberschiffe 02 - Viviaces Erwachen

Titel: Zauberschiffe 02 - Viviaces Erwachen
Autoren: Robin Hobb
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und zuckte dann mit den Schultern. »Vermutlich glauben sie einfach, dass es nur ihnen nicht passiert.«
    »Dann erzählt es ihnen also auch niemals jemand«, stellte Wintrow fest.
    »Natürlich nicht. Wer wohl auch?«
    Ein paar Noten später hielt Mild abrupt inne. »Du wirst es doch nicht tun, oder? Ich meine, selbst wenn er dein Alter ist und alles…«
    Seine Stimme versiegte, als ihm klar wurde, dass er soeben vielleicht sehr indiskret gewesen war.
    »Nein, ich werde es nicht verraten«, hörte sich Wintrow antworten. Er grinste hintersinnig, als er weitersprach. »Und zwar gerade, weil er mein Vater ist.«
    »Junge? Junge, schwing deinen Hintern hier runter!«
    Torg bellte vom Deck zum Mast hinauf.
    Wintrow seufzte. »Ich könnte schwören, dass dieser Mann merkt, wenn es mir gut geht, und immer geeignete Maßnahmen unternimmt, um das zu ändern.«
    Wintrow begann den langen Abstieg. Mild beugte sich über den Rand des Krähennests, sah ihm zu und rief ihm nach: »Du machst zu viele Worte. Sag einfach, er klebt an deinem Arsch wie eine Schicht Farbe.«
    »Das auch!«, stimmte Wintrow zu.
    »Beeil dich, Junge!«, bellte Torg erneut, und Wintrow konzentrierte sich auf den Abstieg.
    Viel später in dieser Nacht, als er um Verzeihung für den Tag betete, wunderte er sich über sich selbst. Hatte er nicht über Grausamkeit gelacht, und hatte er nicht gelächelt, weil ein anderes menschliches Wesen herabgesetzt wurde? Wo fand er darin Sa? Gewissensbisse überschwemmten ihn. Er verdrängte sie. Ein wahrer Priester des Sa hatte wenig für Gewissensbisse übrig. Sie verschleierten nur alles. Wenn ein Mann schlechte Gefühle hatte, musste er herausfinden, was genau ihm Sorgen bereitete, und es eliminieren. Einfach nur die Unbequemlichkeiten eines schlechten Gewissens zu ertragen zeigte nicht gerade an, dass man sich verbessert hatte, sondern nur, dass man vermutete, man hege eine Schuld in seinem Inneren.
    Wintrow lag still in der Dunkelheit da und dachte darüber nach, worüber er gelächelt hatte und warum. Zum ersten Mal seit vielen Jahren fragte er sich, ob sein Gewissen nicht etwas zu zart war, ob es nicht eine Barriere zwischen ihm und seinen Schiffsgefährten bildete. »Das, was trennt, ist nicht von Sa«, sagte er leise zu sich. Aber er schlief ein, bevor er sich an die Quelle für dieses Zitat erinnern konnte, ja, bevor er entscheiden konnte, ob es überhaupt aus den Schriften stammte.
    Sie sahen die Öden-Inseln an einem kalten, klaren Morgen das erste Mal. Die Fahrt nach Nordosten hatte sie vom Herbst in den Winter geführt, vom milden Wetter und blauen Himmel zu ständigem Nieselregen und Nebel. Die Öden-Inseln waren keine deutlich zu unterscheidende Inselgruppe, sondern nur eine Stelle, an der die Wellen plötzlich zu weißem Schaum und Gischt wurden. Die Inseln waren niedrig und flach, kaum mehr als eine Reihe steiniger Strände, die sich zufällig über dem Meeresspiegel befanden. Das Innere der Inseln bestand aus Sand und Büschen, und viel mehr gab es nicht, jedenfalls hatte Althea das gehört. Warum die Seebären ausgerechnet hierher zogen, miteinander um die Weibchen kämpften, sich paarten und ihre Jungen großzogen, wusste sie nicht. Vor allem, weil jedes Jahr um diese Zeit die Schlachterboote kamen und Hunderte ihrer Art umbrachten. Sie kniff in der salzigen Gischt die Augen zusammen und fragte sich, welcher tödliche Instinkt sie jedes Jahr wieder hierher führte, trotz ihrer Erinnerung an Blut und Tod.

    Die Reaper erreichte etwa um die Mittagszeit den Windschatten der Inseln und musste feststellen, dass einer ihrer Rivalen bereits den besten Ankerplatz für sich in Beschlag genommen hatte. Kapitän Sickel fluchte, und zwar so, als wäre es die Schuld seiner Männer und seines Schiffes, dass die Karlay ihnen zuvorgekommen war. Die Anker wurden gesetzt, und die Jäger erhoben sich aus ihrer betäubenden Passivität. Althea hatte gehört, dass sie vor einigen Tagen beim Spiel in Streit geraten waren und beinahe einen der ihren getötet hatten, den sie des Falschspiels verdächtigten. Das bedeutete ihr jedoch nichts. Sie hatte sie als wortkarge und schlecht gelaunte Gesellen kennen gelernt, wenn ihre Pflichten als Schiffsjunge sie zu ihnen geführt hatten. Und dass sie aufeinander losgegangen waren, wunderte Althea nicht. Die Quartiere waren eng, und die Männer hatten viel Zeit für Müßiggang.
    Was sie einander antaten, interessierte sie überhaupt nicht.
    Jedenfalls hatte sie das angenommen.
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