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Zauber einer Winternacht

Zauber einer Winternacht

Titel: Zauber einer Winternacht
Autoren: Nora Roberts
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Einsamkeit. Sie wollte ihn bei sich haben, selbst wenn sie ihn nur im Nebenraum hörte. Wohin er auch gegangen sein mochte, er würde zurückkommen. Sie machte sich auf den Weg zur Küche, um das Frühstück vorzubereiten.
    Dann entdeckte sie die Skizzen, ein halbes Dutzend, verstreut auf dem Picknicktisch. Sein Talent war bei Bleistift- oder Kohlezeichnungen zwar noch nicht so entwickelt, aber auch bei dieser Technik war es nicht zu übersehen. Verunsichert und neugierig zugleich ging sie hinüber, um herauszufinden, wie jemand anderes – nein, Gabriel Bradley – sie wahrnahm.
    Die Augen kamen ihr zu groß vor, der Blick zu gehetzt. Ihr Mund war zu weich, zu verletzlich. Stirnrunzelnd rieb sie mit dem Finger über die Zeichnung. Unzählige Male hatte sie ihr Gesicht gesehen, auf Hochglanzfotos, in der Idealpose. Man hatte sie in Seide und Pelz gehüllt, über und über mit Juwelen behängt. Ihr Gesicht, ihre Figur hatten literweise Parfum verkauft, hatten Modeschöpfern und Juwelieren ein Vermögen eingebracht.
    Laura Malone. Fast hätte sie sie vergessen, die Frau, von der behauptet worden war, dass ihr Gesicht das Gesicht der Neunzigerjahre sein würde. Die Frau, die kurz, viel zu kurz, ihr Schicksal in den eigenen Händen gehalten hatte. Sie war verschwunden, ausradiert.
    Die Frau in den Zeichnungen war sanfter, runder und unendlich zerbrechlicher. Und doch wirkte sie irgendwie stärker. Laura hob eine der Skizzen an und betrachtete sie näher. Oder bildete sie sich die Stärke nur ein, weil sie sie brauchte?
    Als die Vordertür sich öffnete, drehte sie sich um, die Zeichnung noch in Händen. Gabriel kam schneebedeckt herein und warf die Tür mit einem Tritt hinter sich zu. Auf seinen Armen türmte sich Holz.
    »Guten Morgen. Schon fleißig gewesen?«
    Er knurrte und stampfte auf, um sich den gröbsten Schnee von den Stiefeln zu klopfen. Dann ging er, eine Nässespur hinterlassend, zum Kaminkasten und kippte das Holz hinein. »Ich dachte, Sie würden länger schlafen.«
    »Das hätte ich auch.« Sie strich sich über den Bauch. »Aber er wollte es nicht. Soll ich Ihnen Frühstück machen?«
    Er zog die Handschuhe aus und warf sie auf den Kamin. »Hatte schon was. Aber lassen Sie sich nicht abhalten.«
    Laura wartete, bis er aus dem Mantel geschlüpft war. Offenbar war jetzt ein freundlicherer Umgangston angesagt. Freundlich, aber mit leiser Zurückhaltung. »Der Schnee scheint etwas nachzulassen.«
    Er setzte sich auf den Kaminsockel, um sich die Stiefel abzustreifen. An den Schnürsenkeln haftete noch Schnee. »Er liegt jetzt fast einen Meter hoch, und wie es aussieht, wird es vor heute Nachmittag wohl nicht aufhören.« Er zog eine Zigarette heraus. »Fühlen Sie sich also hier wie zu Hause.«
    »Das bin ich offenbar schon.« Sie hielt die Zeichnung hoch. »Ich fühle mich geschmeichelt.«
    »Sie sind schön«, sagte er wie beiläufig und stellte seine Stiefel auf den Kaminrost, um sie trocknen zu lassen. »Bei schönen Dingen kann ich nur selten widerstehen. Ich musste Sie einfach zeichnen.«
    »Sie haben Glück.« Sie ließ das Blatt wieder auf den Tisch fallen. »Es ist viel, viel lohnender, Schönheit darstellen zu können, als selbst schön zu sein.« Gabriel sah auf. In ihrem Tonfall lag Bitterkeit. Eine Spur nur, aber doch hörbar. »Es klingt seltsam«, fuhr sie fort, »aber wenn die Menschen einen erst als schön ansehen, dann wird man schnell als Gegenstand betrachtet.«
    Sie drehte sich um und ging in die Küche. Er sah ihr stirnrunzelnd nach.
    Sie kochte ihm frischen Kaffee und verbrachte den Rest des Morgens damit, die Küche aufzuräumen. Gabriel überließ sie sich selbst. Bis der Abend hereinbrach, würde er die gewünschten Antworten bekommen. Vorläufig gab er sich mit ihrer Gegenwart zufrieden und machte sich an die Arbeit.
    Die Beschäftigung schien ihr ein Bedürfnis zu sein. Er hatte geglaubt, eine Frau in ihrem Zustand würde schlafen, sich hinlegen oder wenigstens den ganzen Tag lang sitzen und stricken. Aber vielleicht war sie dazu zu nervös oder gespannt auf die Konfrontation, die er ihr am Abend zuvor angekündigt hatte.
    Sie stellte keine Fragen und sah ihm nicht über die Schulter, also ging der Vormittag ziemlich ereignislos vorüber. Als er einmal zu ihr hinüberblickte, saß sie zusammengekauert in einer Ecke des altersschwachen Sofas und las ein Buch über Geburtsvorbereitung. Später mixte sie in der Küche einige Zutaten zusammen und produzierte einen kräftigen,
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