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Zarias Geheimnis

Zarias Geheimnis

Titel: Zarias Geheimnis
Autoren: Victoria Hanley
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magisches Instrument aus Silber, mit dem man von unserer Welt auf die Erde sehen konnte.
    Wir waren hier, um zum ersten Mal in unserem Leben einen Blick auf das sagenumwobene Land der Menschen zu erhaschen. Auch würden wir zum ersten Mal miterleben, wie eine Elfenpatin oder ein Pate einem neugeborenen Menschenkind eine Gabe verlieh.
    Meteor war weit vor mir. Ich sah, wie er eine Kabine betrat und unter Blutsteins wohlwollendem Blick ein Auge an das Skop hielt. (Meteor war vermutlich der einzige Schüler, den Blutstein je unterrichtet hatte, der wirklich das Zeug zum Gelehrten hatte, weshalb unser werter Lehrer ihn für den größten lebenden Elfen hielt.)
    Als Blutstein mich nach vorne winkte, hatte ich nicht die geringste Vorahnung, dass sich mein Leben in diesem Augenblick für immer verändern würde.
    Ich drückte die Stirn leicht gegen die Halterung über dem Okular des Skops. Einen Moment lang machte ich nichts weiter als Bäume und Himmel aus. Bei diesem Anblick verspürte ich das seltsame Verlangen, aus der Kabine zu springen und ein Portal zur Erde zu finden. Ich wollte durch diesen Himmel schweben und mit den Fingerspitzen über die Blätter der Bäume streichen.
    »Halte nach dem Baby Ausschau, das du hier beobachten sollst, Zaria«, flüsterte mir Blutstein ins Ohr. Warum hatte er nicht vor der Kabine warten können?
    Ich betätigte einen der Schalter, woraufhin mehrere Linien aufleuchteten und auf ein in eine flauschige gelbe Decke gewickeltes Menschenbaby zeigten. Es war ein Mädchen. Es hatte braune Haut, die ein wenig heller war als die von Meteor, und dünnes, strähniges Haar, das so unansehnlich wie das eines Zwergs war. Offenbar verfügten die Menschen über keine große Vielfalt an Haut- und Haarfarben. Ich blickte in die strahlenden Augen des Babys und sah zu, wie es mit seinen Füßchen um sich trat und seine winzigen Finger ineinander schlang.
    Eine Glocke läutete das Ereignis ein, für das man mich hierher gebracht hatte: die Verleihung des Geburtsgeschenks an das kleine Menschenkind – meine erste Gelegenheit, zu beobachten, wie eine Elfe ihre Aufgabe als Patin erfüllte.
    Ich beobachtete, wie die Gabe wie Nebelschwaden auf die Erde waberte und in die Haut des Babys einsank. Und obwohl ich nicht danach fragte, sagte mir meine Magie, um was für eine Gabe es sich handelte – nämlich wenig Neugierde zu besitzen.
    Die Augen des Babys trübten sich.
    Ich verstand das nicht. Warum verlieh eine Patin einem Kind so eine Gabe? Es erschien mir ganz und gar nicht wie ein Geschenk , sondern eher wie ein Fluch, der dem Kind eine wertvolle Eigenschaft nahm.
    Ich warf einen Blick in die Nachbarkabine, in der die Patin des Babys saß. Sie wandte ihr aalglattes Gesicht von ihrem Patenkind ab, ohne auch nur ein einziges Malzurückzuschauen. Bevor sie die Kabine verließ, sah ich deutlich ihr safrangelbes Haar, in das Morganit-Fäden geflochten waren. Ihre dünne Nase bog sich an ihrem Ende nach unten, und ihre Flügel waren weiß.
    Ich knallte mit dem Ellbogen gegen den Arm des Skops und verlor das Baby aus den Augen. Ich versuchte, das kleine Mädchen wiederzufinden. Das Skop schwang hin und her, und ehe ich mich’s versah, erblickte ich einen Menschenjungen, der ungefähr so alt war wie ich. Seine Erscheinung war so farbenfroh und unverwechselbar, dass er ein Elf hätte sein können: Er hatte rotgoldenes Haar, das wie ein Feuer loderte, und haselnussbraune Augen, die wie Bernstein schimmerten. Irgendwie fing ihn das Skop in einem Moment ein, in dem es mir so vorkam, als erwiderte er meinen Blick. Ich sprang auf und schlug den Arm des Skops dabei in die Senkrechte.
    Blutsteins fahles Gesicht verzog sich zu einem allzu vertrauten spöttischen Grinsen. »Du wirst dich daran gewöhnen«, sagte er.
    Das war eine der größten Lügen, die man mir je erzählt hatte.

Nachdem ich die Aussichtskabine verlassen hatte, versuchte ich, die unheimliche Elfe und ihr Patenkind aus meinen Gedanken zu vertreiben. Ich konnte an nichts anderes mehr denken als an die Erde. Ich verspürte das Verlangen, zwischen den Bäumen zu wandeln, die ich aus der Ferne gesehen hatte, und wirklich unter ihnen zu stehen, anstatt sie nur durch eine Diamantenlinse von einer anderen Welt aus zu betrachten.
    Aber laut Gesetz musste ich sechzehn Jahre alt und beim Hohen Rat registriert sein, bevor ich mich auf die Erde begeben durfte.
    Die Vorstellung, noch zwei Jahre warten zu müssen, war schrecklich.
    »Und?«, flüsterte ich meinen
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