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Zahltag

Zahltag

Titel: Zahltag
Autoren: Petros Markaris
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Italien zu sein, obwohl er in Wirklichkeit in Griechenland ist.
    Am liebsten würde ich meine Stirn gegen das Lenkrad schlagen, weil
mir nie der Gedanke gekommen ist, seine Behauptung zu überprüfen. Mit einer
kurzen Anfrage bei der italienischen Polizei wäre die Sache innerhalb von
achtundvierzig Stunden geklärt gewesen. Ich tat es nicht, weil ich ihn einfach
nicht im Verdacht hatte. Alle – und ich vorneweg – waren auf einen Griechen
fixiert und zogen einen Deutschgriechen überhaupt nicht in Betracht. Dennoch
sage ich mir: Charitos, zieh keine voreiligen Schlüsse, es ist noch lange nicht
sicher, dass Nassiotis der nationale Steuereintreiber ist. Gut, aber selbst
wenn er es nicht ist, muss er irgendetwas mit dem Mörder zu tun haben. Wenn wir
ihn finden, haben wir also entweder den nationalen Steuereintreiber selbst,
oder wir haben das Verbindungsglied entdeckt, das zu ihm führt.
    Nun ist genau das eingetreten, was ich immer vorausgesagt und worauf
ich so lange gewartet habe, dass er nämlich irgendwann den entscheidenden
Fehler machen würde. »Irren ist menschlich«, wie es so schön heißt.
Möglicherweise hat Nassiotis durch seinen Besuch bei Chomatas einen sehr
menschlichen Fehler begangen.
    Ich bin so sehr in Gedanken versunken, dass ich gar nicht gemerkt
habe, dass ich mich bereits auf dem Alexandras- [387]  Boulevard befinde. Erst in
Gikas’ Büro komme ich wieder zu Atem.
    »Sie müssen kurz warten, er spricht gerade mit dem Minister«,
erklärt mir Stella.
    Zehn lange Minuten sitze ich auf glühenden Kohlen. Dann gibt Stella
Gikas Bescheid und winkt mich durch. Ein zufriedener Vorgesetzter blickt mir
entgegen.
    »Der Minister ist von den Ergebnissen sehr angetan. Er hat angeregt,
direkt mit der deutschen Polizei zu kooperieren.«
    »Warum nicht? Das ist bestimmt nicht verkehrt. Aber wir dürfen nicht
nur in diese eine Richtung ermitteln.«
    »Wie meinen Sie das?«, fragt er neugierig.
    Ich liefere ihm eine ausführliche Zusammenfassung meines Gesprächs
mit Chomatas. »Meiner Meinung nach befindet sich Nassiotis weder in Deutschland
noch in Italien, sondern in Griechenland. In erster Linie sollten wir am
Flughafen und bei den Fluggesellschaften überprüfen, ob er in der Zeit, als die
vier Morde passierten, in Griechenland war.«
    »Glauben Sie, dass er der nationale Steuereintreiber ist?«
    »Das kann ich nicht mit Sicherheit sagen. Zuerst muss festgestellt
werden, wo er zum Zeitpunkt der Morde war. Doch ich bin davon überzeugt, dass
er etwas mit dem nationalen Steuereintreiber zu tun hat.«
    »Dann informiere ich umgehend den Minister«, meint Gikas und stürmt
zum Telefon.
    »Lieber nicht.«
    »Wieso?«, fragt er mich verwundert.
    »Weil wir ihm besser noch keine großen Hoffnungen machen, solange
wir nicht vollkommen sicher sind.«
    »Da haben Sie recht«, stimmt er mir zu und nimmt die [388]  Hand wieder
vom Hörer. »Ich lasse sofort Nassiotis’ Ein- und Ausreisedaten für den
fraglichen Zeitraum überprüfen. Und im Gegenzug bitte ich Sie, mich permanent
auf dem Laufenden zu halten.«
    »Ja, wie immer.«
    »›Wie immer‹ ist ja wohl eine Beschönigung, oder?« Diese Spitze kann
er sich nicht verkneifen.
    Zurück im Büro, rufe ich meine Assistenten zu mir herüber. »Lasst
alles andere stehen und liegen und konzentriert euch auf die Familiengeschichte
von Jerassimos Nassiotis. Ich möchte wissen, ob er Verwandte in Griechenland
hat und wenn ja, wo sie wohnen. Vor allem interessiert mich, ob Angehörige in
Athen leben. Ebenso möchte ich wissen, ob er in Griechenland Immobilien
besitzt: Geschäftsräume, Häuser, Wohnungen und Ähnliches.«
    »Ist er es?«, fragt mich Vlassopoulos.
    »Immer mit der Ruhe. Ob uns dieser Fingerzeig wirklich ans Ziel
führt, wissen wir noch nicht.«
    Sie machen sich sofort an die Arbeit. Mir geht nicht aus dem Kopf,
was Mania Lagana über den nationalen Steuereintreiber und dessen Trauma gesagt
hat. Ich weiß zwar nicht, ob es wirklich ein traumatisches Erlebnis in
Nassiotis’ Leben gab, noch, wodurch es ausgelöst wurde, aber wenn wir auf ein
solches stoßen, wird uns das einen gewaltigen Schritt weiterbringen. Denn dann
weiß ich, wo ich ansetzen muss.

[389]  51
    Ich lasse den Seat auf dem Parkplatz in der
Navarchou-Nikodimou-Straße stehen und gehe wie schon mal zu Fuß bis zum
Dokumentationszentrum des Kerameikos-Friedhofs an der Thespidos-Straße. Es
öffnet mir dieselbe Mitarbeiterin aus Merenditis’ Team wie beim letzten Mal.
Offenbar weiß sie
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