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Zärtlich wie ein Krieger / Wächter der Seelen. Roman

Zärtlich wie ein Krieger / Wächter der Seelen. Roman

Titel: Zärtlich wie ein Krieger / Wächter der Seelen. Roman
Autoren: Annette McCleave
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verloren.
    Es wäre einfach, jetzt aufzugeben. Zuzulassen, dass die Angst über die Würde triumphierte. Einen Moment lang war Kiyoko versucht, die Augen zu schließen und sich der Herrin des Todes auszuliefern. Doch er ging rasch vorüber. Ihr Vater hatte nicht aufgegeben. Selbst dann nicht, als es aussichtslos war. Er hatte um sein Leben und den Sieg gekämpft, bis zum Schluss. Sie wusste es, denn in seinen letzten Augenblicken hatte sie ihn an sich gedrückt und in jedem seiner keuchenden Atemzüge gespürt, dass er sich seinem Schicksal widersetzte.
    Wenn er bis zum letzten Atemzug hatte kämpfen können, dann konnte sie das auch.
    Sie war ein Onmyōji.
    Nicht irgendein Onmyōji, Kiyoko war eine Meisterin. Die direkte Nachfahrin von Abe no Seimei. Sie stieß die Spitze ihres Katanas tief in den Dielenboden und zog sich daran in die Höhe. Es gab noch immer eine Möglichkeit.
    Transzendieren.
     
    Murdoch spürte, dass Kiyoko sich ihm von hinten näherte.
    Er ahnte, was sie vorhatte, doch er konnte sie nicht daran hindern. Sein Berserker hatte das Regiment übernommen und agierte getrieben von Instinkt und Kampfeswut, nur darauf konzentriert – wie
er selbst
es sein sollte –, alles in seiner Macht Stehende zu tun, um Asasel zu besiegen. Denn dieser Bastard hatte einen Höllenkampf entfesselt.
    Murdoch erschrak. Kiyoko war bereits sehr geschwächt und zog ein Bein nach. Wenn sie ihm zu nahe kam – wenn er sie versehentlich traf –, konnte das durchaus ihr Ende bedeuten. Und doch kam sie unaufhaltsam näher.
    Alles, was er zustande brachte, war verbaler Protest.
    »Nein!«, knurrte er.
    Aber es war zu wenig. Und es war zu spät. Sie hatte ihm bereits die Hand auf den Rücken gelegt.
    Die Berührung löste keinerlei Reaktion in ihm aus – er nahm bereits wenig mehr als den roten Nebel der Berserkerraserei wahr –, doch Kiyoko zuckte heftig zusammen. Wieder und wieder. Als hätte sie eine Art Anfall oder als hätte sie einen Transformator angefasst, der eine ganze Stadt mit Strom versorgte.
    So hatte er es prophezeit. Er war dabei, sie zu töten.
    Er brüllte auf und rang in einer verzweifelten Willensanstrengung darum, die Bestie in seiner Brust unter Kontrolle zu bringen, damit der Energiestrom, der sich enthemmt von seinem Körper in den ihren fraß, zum Erliegen kam.
    Und da setzte das Zucken wie durch ein Wunder aus.
    Nur einen Herzschlag lang. Aber lange genug, um ihm zu beweisen, dass Kontrolle doch möglich war. Lange genug, um ihn davon zu überzeugen, dass er sie retten konnte, wenn er die Bestie in sich in den Griff bekam. Wenn er akzeptierte, dass seine beiden Hälften ein Ganzes ergaben, dass der Berserker sich niemals wirklich zurückzog, dass er in jedem wachen Augenblick ein Teil von ihm war, dass er das Blut war, das durch seine Adern floss.
    Noch während Murdoch mit seinem Schwert zuschlug und parierte und zustieß, fand er plötzlich jenen ruhigen Punkt, zu dem seine Gedanken wanderten, wenn er meditierte. Er wurde sich jedes Muskels in seinem Körper bewusst, jedes Herzschlags, jedes Feuerstoßes seiner Synapsen. Er spürte jeden Zentimeter seiner Haut, selbst dort, wo sie übel zugerichtet und blutbesudelt war, und er entdeckte die Verbindung zwischen sich und Kiyoko, an der seine Energie in ihren Körper strömte. Die Stelle, an der ihre Hand seinen Rücken berührte. Da drosselte er den Energiestrom, bis er ruhig und gleichmäßig dahinfloss.
    Kiyoko hörte auf zu zucken.
    Und zum ersten Mal seit siebenhundertsiebenundzwanzig Jahren fühlte sich Jamie Murdoch wie ein ganzer Mensch.
     
    Kiyoko hatte Mühe, die aufsteigenden Tränen zurückdrängen.
    Murdoch hatte den Energiestrom aus seinem Körper gedrosselt, aber die Verbindung nicht gekappt. So konnte sie nun nicht nur die Kraft des Berserkers anzapfen, die bei jedem Herzschlag durch ihn hindurchwogte, sie hatte auch teil an seinen Gefühlen. Doch jetzt blieb keine Zeit, sich mit neuen Entdeckungen zu beschäftigen.
    Asasel wütete und tobte noch immer.
    Kiyoko rezitierte die Worte des Rituals, die sie als Kind auswendig gelernt hatte, und spürte, wie sich die Energie sammelte und aufbaute. Die kleine Energieperle in ihrem Bauch gewann an Kraft und wuchs. Ihr Ki wurde heller, ihr Herz pumpte kräftiger und gleichmäßiger. Eine weiche, goldfarbene Wärme durchflutete sie vom Scheitel bis zur Sohle und rötete ihre Haut. Die Energieperle stieg auf, verließ ihren Körper, und Kiyoko spürte, wie alle irdischen Bande sich
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