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Ysobel – Das Herz aus Diamant

Ysobel – Das Herz aus Diamant

Titel: Ysobel – Das Herz aus Diamant
Autoren: Marie Cordonnier
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dazu. Sie hatte die Laterne auf drei Seiten abgeblendet, so dass kaum mehr als ein flackernder Schein übrigblieb, in dem sie hastig ihre Kleider überstreifte. Sie hatte nicht gewagt, das Feuer im Badehaus anzufachen, und sich mit dem Eimer heißen Wassers begnügt, den sie aus der Spülküche herbeigeschleppt hatte, nachdem die Tagesarbeit endlich erledigt war.
    Glücklicherweise war sie es vom Kloster her gewöhnt, sich mit kaltem Wasser zu säubern, so dass es geradezu einem Luxus gleichkam, wenn sie sich wenigstens die schweren nassen Haare mit lauwarmem Wasser ausspülen konnte. Sie wickelte sich hastig ein Tuch um die schwere, feuchte Masse und beseitigte die letzten Spuren ihres Aufenthaltes im Badehaus der Burg.
    Thilda hatte ihr das Baden zwar nicht ausdrücklich verboten, aber sie würde einen Weg finden, es zu tun, sobald sie erfuhr, wie viel es Ysobel bedeutete, den Schmutz und die Küchendünste loszuwerden. Sie ekelte sich nicht vor der Arbeit, aber deren Spuren wollte sie stets so schnell wie möglich wieder loswerden.
    Vorsichtig entriegelte sie die Tür und spähte in den Burghof hinaus. Im bleichen Licht eines halben Mondes vermochte sie kein Zeichen menschlichen Lebens zu entdecken. Am Brunnenhaus strich majestätisch eine Katze um die Pfosten, und aus den Stallgebäuden klang das Klirren der Ketten und das Rascheln des Strohs. Ansonsten hörte Ysobel nur das leichte Brausen des Meeres und das Rascheln, mit dem der Wind in den Ecken Stroh und trockene Blätter anhäufte. Für einen Augenblick konnte sie sich der Illusion hingeben, allein auf Locronan zu sein.
    Mit dem sicheren Gespür für den Ablauf der Zeit, der im Kloster von der großen Stundenkerze markiert worden war, wusste sie, dass es kurz nach Mitternacht sein musste. Rechts von ihr ragten die Tortürme schwarz gegen den dunklen Himmel. Sie sah eine Hellebarde aufschimmern, dort, wo die Wache auf die Flussmündung und die Fischerdörfer in der Bucht hinuntersah. Das Tor war geschlossen und die Zugbrücke gehoben. Offensichtlich rechnete Gratien nicht mit Gefahr, denn Ysobel konnte keine weiteren Wachen entdecken.
    Sie unterdrückte einen Schauer, der sowohl von der Kälte als auch einem plötzlichen Gefühl der Bedrohung herrührte. Gratien benahm sich, als ob der Friede, von dem alle träumten, bereits Wirklichkeit sei. Sie hatte eine andere Erfahrung gemacht, und sie entdeckte, dass ihr Bruder nicht nur seiner Schwester gegenüber verantwortungslos handelte. Was würde sein, wenn eine Söldnerkompanie Locronan als Ziel ausmachte? Wenn Paskal Cocherel so plötzlich vor der Burg auftauchte, wie er es in Sainte Anne getan hatte?
    Die plötzliche Gewissheit, dass diese Mauern längst nicht die sichere Zuflucht darstellten, die sie sich erhofft hatte, entlockte Ysobel einen gequälten Seufzer. Allein, was konnte sie tun, wohin gehen? Es gab nur noch Gratien, der zu ihr gehörte, der schwache, nachgiebige Bruder, weicher als Wachs in den Händen seiner eigensüchtigen, verschwenderischen Gemahlin.
    Der Gedanke an Gratien brachte sie auf höchst unliebsame Weise in die Wirklichkeit zurück. Wenn es niemand gab, der ihr Wohl im Sinne hatte, dann musste sie selbst dafür sorgen. Mit einem Male kümmerte es sie plötzlich wieder, was die Zukunft für sie bereithielt. Sie raffte das Umschlagtuch enger um sich und huschte zum Haupthaus hinüber.
    In der großen Halle schlief das Gesinde auf Stroh und teilte sich die restliche Wärme des Hauptkamines mit den Jagdhunden des Herren sowie einer stattlichen Anzahl von Katzen, Ratten und Mäusen. Die Ausdünstungen ungewaschener Körper und Kleider nahmen Ysobel fast den Atem.
    Ungesehen huschte sie zur Treppe, wobei sie dem Himmel im geheimen dafür dankte, dass sie nicht mit Dame Volberte und den anderen Edelfrauen, die Dame Thildas Gefolge bildeten, im Turmgemach schlafen musste. Die drei großen Alkoven, die dort standen, boten ein jeder für vier Damen Platz, aber die dicke Volberte hatte natürlich ein Bett für sich alleine. Wäre sie in Ehren zu Hause aufgenommen worden, wie es sich gehörte, hätte sie die Matratze mit dieser Person teilen müssen!
    Schon beim Gedanken daran erschauerte Ysobel. Dann war ihr die Schlafgelegenheit im ehemaligen Zimmer der Näherinnen schon lieber. Die rechteckige Kammer hatte zwar keinen Kamin, und durch das schmale Nordfenster pfiff der Wind, aber sie bot immerhin ein wenig Abgeschiedenheit und frische Luft. Niemand hatte sich darum gekümmert, ob sie es bequem
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