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Xperten 1.2 - Der Mindcaller

Xperten 1.2 - Der Mindcaller

Titel: Xperten 1.2 - Der Mindcaller
Autoren: Hermann Maurer
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flechtenüberzogenen Ästen und den roten Beeren scheinen seit Beginn der Zeit hier zu stehen und sahen zu, wie sich tätowierte Maori Krieger wilde Kämpfe lieferten.

    Langsam und vorsichtig folgt Aroha dem Bach abwärts, an kleinen Wasserfällen vorbei, manchmal im Bach oder am Bachrand, dann wieder etwas höher auf einer moosbewachsenen Böschung, die der Bach wie eine perfekte Skulptur unterhöhlt hat. Nicht immer ist das Fortkommen einfach; sie muss sich häufig den Weg über umgestürzte Bäume und durch Schlingpflanzen hindurch kämpfen, mehr als einmal wünscht sie, sie könne sich wie Tarzan von Baum zu Baum schwingen.
    Schließlich hält sie. Sie watet durch das Wasser, setzt sich auf einen großen Stein und verzehrt ihr Mittagsessen, während sie Wellen und Wirbel beobachtet, die die Strömung unter und um den Felsen erzeugt. Die beiden Teile des Baches scheinen ihr wie die zwei widersprüchlichen Einflüsse in ihrem eigenen Leben: Maori und Pakeha 1 .

    Die ersten fünf Jahre ihres Lebens verbrachte sie im Marae, einem kleinen Maori Dorf ganz im Norden von Neuseeland. Sie hörte glücklich den Geschichten der Großmutter zu, der weisen Kepa, wie man sie nannte, und wo Aroha jedes Mal gehofft hatte, die Geschichten würden nie aufhören. Die weise Kepa war der Matriarch der Familie, sie führte und leitete diese sanft aber auch fest. Sie bestand darauf, die alten Traditionen nicht aufzugeben und versuchte, das auch bei den Mitgliedern der Großfamilie durchzusetzen. Aroha wurde, der Maori Tradition entsprechend, im Alter von wenigen Monaten von ihrer Großmutter adoptiert. Arohas Mutter und ihr englischer Vater hatten große Schwierigkeiten Arbeit zu finden, die ihnen Zeit für die Betreuung des Kindes gelassen hätte; und ihre Großmutter wollte andererseits unbedingt, dass Aroha in einer Maori Umgebung aufwuchs.
    Die weise Kepa verlangte, dass alle Maori sprachen, wenn die Zeit des Geschichtenerzählens kam, aber dass sie Englisch reden konnten, wenn sich die Familienmitglieder zu anderen Zeitpunkten unterhielten, etwa während die Frauen Flachs zu Körben, Taschen oder Wandteppichen woben. Beim Spielen mit anderen Kindern aber war die Trennung der Sprachen nie so genau gewesen.
    Mit einem Gefühl der Unruhe denkt Aroha an das neue Leben, das für sie mit dem Beginn des ersten Universitätsjahres in wenigen Wochen beginnen wird.
    [1] Eine etwas abfällige Bezeichnung der Maoris für die europäischen Zuwanderer.
    Sie setzt die Erforschung des Tales fort. Gleichzeitig ist sie nur halb bei der Sache. Immer wieder geht ihr durch den Kopf, ob das Biologiestudium sie so faszinieren wird, wie sie das hofft. Und wird sie Freunde finden?
    Sie folgt dem Bach eine weitere Stunde. Das Fortkommen wird immer schwieriger. Schließlich scheint es kein Weiterkommen mehr zu geben. Der Bach ist tief und reißend geworden, rechts ein steiler Felsen, am rechten Bachrand undurchdringliche Büsche und große Baumstämme, die den Weg versperren. Auf Händen und Knien kriechend gelingt es ihr, sich unter einer großen Baumwurzel durchzudrängen, während sie Spinnwebenfäden, kleine Wurzeln und andere Hindernisse Zentimeter um Zentimeter aus dem Weg räumen muss. Irgend etwas treibt sie weiter.
    Dann wird es wieder leichter; sie kann aufstehen, schüttelt sich Staub und Blätter aus Haaren und Kleidung und hält verblüfft inne. Sie steht in einer anderen Welt, wie in einem Raum aus einer anderen Zeit: Farnbäume 2 und Neuseelandpalmen 3 bilden ein natürliches Dach, durch das die zylindrischen Stämme von riesigen Kauribäumen 4 himmelwärts wachsen. Am Boden sind die Wurzeln mit Flechten und Moos wie mit einem weichen Teppich überwachsen, aus denen da und dort die Buschorchideen Neuseelands ihre Blüten strecken.
    Sie steht an einem Platz, den die Zeit vergessen hat. Hier, in diesem verborgenen Tal, hat sie einen Ort gefunden, der ehrwürdig, alt und offenbar seit Jahrzehnten nicht mehr von einem Menschen besucht worden ist. Die ‚Kathedrale‘ tauft Aroha den Ort ohne darüber wirklich nachzudenken.
    An einem Ende dieses von der Natur geschaffenen Raumes ist ein alter Kauribaum umgestürzt, hat mit seinem Wurzelwerk Teile der Bachböschung mitgerissen und liegt nun quer über dem Wasser. Aroha geht näher an den umgestürzten Baum heran: ‚Ob wohl die großen Regenfälle der letzten Wochen den Boden so aufgeweicht haben, dass dieser schöne Waldriese umstürzte?‘, überlegt sie sich, während sie die mächtigen Wurzeln
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