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Xenozid

Xenozid

Titel: Xenozid
Autoren: Card Orson Scott
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daß er mich mit zwei Jahren und die Welt mit zwanzig Jahren manipulieren konnte. Als sie im 22. Jahrhundert auf der Erde noch Kinder waren, hatte er die politischen Schriften großer Männer und Frauen, lebender und toter, studiert, nicht, um ihre Vorstellungen zu begreifen – die erfaßte er auf Anhieb –, sondern um zu lernen, wie sie sie vorbrachten. Um praktisch zu lernen, wie man wie ein Erwachsener klingt. Als er das beherrschte, brachte er es Valentine bei und zwang sie, unter dem Namen Demosthenes unbedeutende demagogische politische Schriften zu verfassen, während er unter dem Namen Locke ausgeklügelte staatsmännische Essays verfaßte. Dann speisten sie sie in die Computernetzwerke ein, und nach wenigen Jahren befanden sie sich am Herzen der größten tagespolitischen Themen.
    Damals stieß Valentine bitter auf – und es traf sie heute noch immer ein wenig, da sie es vor Peters Tod niemals aufgelöst hatten –, daß er, von Machtgier verzehrt, sie gezwungen hatte, die Art Artikel zu schreiben, die seinem Charakter entsprachen, während er die friedensliebenden, erhabenen Gefühlsregungen ausdrückte, die ihrer Natur entsprachen. In jenen Tagen war ihr der Name ›Demosthenes‹ wie eine schreckliche Last vorgekommen. Alles, was sie unter diesem Namen schrieb, war eine Lüge, und nicht einmal ihre Lüge, sondern Peters. Eine Lüge innerhalb einer Lüge.
    Aber jetzt nicht mehr. Nicht mehr seit 3000 Jahren. Ich habe den Namen zu meinem eigenen gemacht. Ich habe Geschichtsbücher und Biographien geschrieben, die das Denken Millionen Gelehrter auf den Hundert Welten veränderten und dabei halfen, die Identitäten Dutzender Nationen zu formen. Das ist daraus geworden, Peter. Das ist aus dem geworden, wozu du mich machen wolltest.
    Bis auf die Tatsache, daß sie nun, als sie den Essay betrachtete, den sie gerade geschrieben hatte, begriff, daß sie sich zwar von Peters Oberhoheit befreit hatte, aber noch immer seine Schülerin war. Alles, was sie über Rhetorik und Polemik wußte, hatte sie von ihm oder wegen seines Beharrens gelernt. Und obwohl sie diese Fähigkeiten nun für eine edle Sache einsetzte, führte sie trotzdem genau dieselben politischen Manipulationen durch, die Peter so geliebt hatte.
    Peter war schließlich zum Hegemon geworden, zu Anfang der Großen Expansion war er sechzig Jahre lang Herrscher über die gesamten Menschheit; er war derjenige gewesen, der all die miteinander im Streit liegenden Staaten der Menschheit vereinigt und auf die gewaltige Aufgabe eingeschworen hatte, Sternenschiffe zu allen Welten zu schicken, auf denen einst die Krabbler gehaust hatten, und dann weitere bewohnbare Welten zu entdecken, bis zur Zeit seines Todes schließlich alle Hundert Welten entweder besiedelt worden oder zumindest Kolonistenschiffe zu ihnen unterwegs waren. Natürlich sollten weitere tausend Jahre vergehen, bevor der Sternenwege-Kongreß erneut die gesamte Menschheit unter einer Regierung vereinigte, doch die Erinnerung an den ersten Hegemon war das Herz der Geschichte, die die menschliche Einheit möglich gemacht hatte.
    Aus einer moralischen Einöde wie Peters Seele waren Harmonie, Einheit und Frieden gekommen. Während Enders Erbe, soweit sich die Menschheit erinnerte, aus Mord, Massenmord, Xenozid bestand.
    Ender, Valentines jüngerer Bruder, den zu besuchen sie und ihre Familie unterwegs waren, war der zärtliche, der Bruder, den sie liebte und frühen zu beschützen versucht hatte. Er war der gute. Ja, er hatte zwar einen Anflug von Skrupellosigkeit, der der Peters gleichkam, doch er hatte den Anstand, von seiner eigenen Brutalität abgestoßen zu werden. Sie hatte ihn so innig geliebt, wie sie Peter verabscheut hatte; und als Peter seinen jüngeren Bruder von der Erde verbannt hatte, die Peter zu beherrschen entschlossen war, ging Valentine mit Ender – ihre endgültige Zurückweisung von Peters persönlicher Hegemonie über sie.
    Und hier bin ich wieder, dachte Valentine, mitten in der Politik.
    Sie sprach scharf, mit der abgehackten Stimme, die ihrem Terminal verriet, daß sie einen Befehl gab. »Senden«, sagte sie.
    Das Wort ›Senden‹ erschien über ihrem Essay in der Luft. Normalerweise hätte sie damals, als sie wissenschaftliche Arbeiten schrieb, ein Ziel angeben müssen – den Essay über irgendwelche verschlungenen Wege, so daß er nicht so leicht zu Valentine Wiggin zurückgeführt werden konnte, an einen Verleger schicken müssen. Nun jedoch erledigte eine subversive
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