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Xeelee 1: Das Floss

Xeelee 1: Das Floss

Titel: Xeelee 1: Das Floss
Autoren: Stephen Baxter
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Laub eingerollten Zehen richtete sich Pallis zu seiner vollen Größe auf. Mit fünfzigtausend Schichten hatte er ein für die Verhältnisse im Nebel hohes Alter erreicht; aber sein Bauch war immer noch so flach und hart wie einer von den Baumstämmen aus seiner geliebten Baumflotte, und bei seinem Anblick schraken die meisten Menschen zurück vor dem Muster der durch die Zweige verursachten Narben, die sein Gesicht, seine Hände und seine Unterarme bedeckten und rot wurden, wenn er wütend war.
    Und jetzt war er wütend.
    »Gover! Bei den leibhaftigen Boneys, wo steckst du?«
    Ein schmales, kluges Gesicht erschien über einem der Kessel am Rande des Baums. Gover befreite sich aus einem Nest von Blättern und trippelte über die Plattform aus Blättern, wobei ein Paket auf seinem schmalen Rücken baumelte.
    Pallis stand mit verschränkten Armen und angespannten Muskeln da. »Gover«, sagte er leise, »ich frage dich noch einmal: Wo, zum Teufel, hast du gesteckt?«
    Gover fuhr sich mit dem Handrücken über die Nase, deformierte dabei die Nasenlöcher, und als er die Hand wieder wegnahm, glitzerte sie feucht. »Ich war schon fertig«, murmelte er.
    Pallis beugte sich über ihn. Govers Blick glitt über die Augen des Baum-Piloten und wieder von ihnen weg. »Du bist fertig, wenn ich dir sage, daß du fertig bist. Und keinen Moment früher.«
    Gover sagte nichts.
    »Schau…« Pallis tippte mit einem Finger auf Govers Paket. »Du trägst noch immer die Hälfte deines Holzhaufens mit dir herum. Die Feuer erlöschen. Und sieh dir die Rauchwand an. Mehr Löcher als in deinem verdammten Hemd. Mein Baum weiß nicht, wohin, wegen dir. Fühlst du nicht, wie er zittert?«
    »Jetzt hör zu, Gover. Du bist mir scheißegal, aber der Baum nicht. Wenn du den Baum noch mehr aufregst, schmeiß’ ich dich über den Rand; wenn du Glück hast, fressen dich die Boneys zum Frühstück, und ich fliege mit dem Baum allein zum Floß zurück. Kapiert?«
    Gover hing vor ihm, und seine Hände zerrten gleichgültig an dem zerfetzten Saum seines Hemdes. Nach einem Moment des Wartens zischte Pallis: »Und jetzt hau ab!«
    Mit einer schnellen Bewegung zog sich Gover zum nächsten Kessel hinauf und zog Holz aus seinem Bündel. Bald füllten frische Rauchschwaden die Löcher in der Wolke, und das Zittern des Baums wurde schwächer.
    Mit brodelnder Erregung beobachtete Pallis die ungeschickten Bewegungen des Jungen. Oh, er hatte auch in der Vergangenheit schlechte Assistenten gehabt, aber in den guten alten Zeiten waren die meisten wenigstens bereit gewesen, zu lernen, es wenigstens zu versuchen. Und nach und nach, je mehr harte Schichten sie hinter sich gebracht hatten, waren diese jungen Leute zu verantwortungsbewußten Männern und Frauen geworden, deren Geist sich im gleichen Maße stählte wie ihr Körper.
    Aber diese hier nicht. Nicht diese Generation.
    Das war bereits sein dritter Flug mit dem jungen Gover. Und der Kerl war immer noch so mürrisch und störrisch wie beim ersten Einsatz auf den Bäumen; Pallis konnte es kaum erwarten, ihn an die Wissenschaft zurückzugeben.
    Seine Augen suchten ruhelos den roten Himmel ab. Die fallenden Sterne sahen aus wie ein Haufen Nadelspitzen, die in den Weiten entschwanden; die Tiefen des Nebels, weit unter ihm gelegen, waren eine dunkelrote Sinkgrube. War seine nostalgische Verachtung für die Jugend von heute nur ein Symptom des Älterwerdens? Oder hatten sich die Menschen tatsächlich verändert?
    Nun, es gab keinen Zweifel, daß zumindest die Welt um ihn herum sich wirklich verändert hatte. Der frischblaue Himmel und die wohlriechende Luft waren nur noch Erinnerungen aus seiner Jugendzeit; die Luft verwandelte sich in einen rauchigen Mief, und das Wesen der Menschen schien sich mit der Luft zu verdüstern.
    Und eins stand fest: Seine Bäume mochten diesen Dunst nicht.
    Er seufzte und versuchte, seine Grübeleien zu verdrängen. Die Sterne fielen weiter herunter, unabhängig von der Farbe des Himmels. Das Leben ging weiter, und er hatte seine Arbeit zu erledigen.
    Leichte Vibrationen spielten unter den Sohlen seiner nackten Füße und signalisierten ihm, daß der Baum nun fast stabil war und am Rand der Schwerkraftquelle des Sternenkerns schaukelte. Gover bewegte sich schweigend an den Feuerkesseln entlang. Verdammt, der Kerl konnte seine Arbeit gut machen, wenn man ihn dazu zwang. Das war das Ärgerlichste an ihm. »Okay, Gover, ich möchte, daß diese Schicht Holz während meiner Abwesenheit am
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