Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Xeelee 1: Das Floss

Xeelee 1: Das Floss

Titel: Xeelee 1: Das Floss
Autoren: Stephen Baxter
Vom Netzwerk:
lächeln und stieß mit dem Glas gegen seine Brust. »Trink es trotzdem.« Wieder rief der Stoß ihres Körpers ein Wärmegefühl in seinem Bauch hervor – warum sollte die Ausstrahlung ihres Gravitationsfeldes sich so von dem der anderen Menschen unterscheiden? – und er war verwirrt vom Anblick ihrer nackten Arme.
    »Danke.« Er nahm den Drink und saugte am Plastiknippel der Flasche; heißer Schnaps lief über seine Zunge. »Vielleicht kann ich das wirklich gebrauchen.«
    Sheen musterte ihn mit unverhohlener Neugier. »Du bist ein merkwürdiger Typ, Rees, nicht wahr?«
    Er starrte sie ebenfalls an und ließ seine Augen über die glatte Haut gleiten, die ihre Augen umgab. Mit Erstaunen registrierte er, daß sie nicht viel älter sein konnte als er. »Inwiefern bin ich merkwürdig?«
    »Du bist ein Einzelgänger.«
    Er zuckte die Achseln.
    »Weißt du, das ist etwas, was du ablegen mußt. Du brauchst Gesellschaft. Wir alle brauchen Gesellschaft. Vor allem nach einer Schicht wie dieser.«
    »Was hattest du vorhin sagen wollen?« fragte er plötzlich.
    »Wann?«
    »Nach der Implosion. Du hast gesagt, daß es schwierig sein würde, etwas zu bauen, das stabil genug für dieses Universum ist.«
    »Ja und?«
    »Nun… gibt es denn noch ein anderes Universum?«
    Sie sog an ihrem Glas und ignorierte die Rufe von hinten, die sie aufforderten, an der Party teilzunehmen. »Wen interessiert das?«
    »Mein Vater sagte immer, die Mine würde uns noch alle töten. Die Menschen seien nicht dafür geschaffen, da unten zu arbeiten und bei fünf Gravos in Rollstühlen herumzukrebsen.«
    Sie lachte. »Rees, du bist schon eine Type. Aber ich bin, ehrlich gesagt, nicht in der Stimmung für metaphysische Spekulationen. Wozu ich jetzt Lust habe, ist, mich mit diesem vergorenen Fruchtsaft sinnlos zu besaufen. Du kannst dich also mir und den Jungs anschließen, wenn du möchtest, oder du kannst gehen und die Sterne anseufzen. Okay?« Sie eilte davon und warf einen fragenden Blick zurück; mit einem verkniffenen Lächeln schüttelte er den Kopf, und sie entschwebte wieder zu ihrer Party, wo sie in einem kleinen Kreis von Armen und Beinen verschwand.
    Rees trank aus, kämpfte sich zur Bar durch, um die leere Flasche zurückzustellen, und entfernte sich.

    Eine schwere, prall mit Regen gefüllte Wolke trieb über den Gürtel und reduzierte die Sichtweite auf ein paar Meter; die Luft, die diese Wolke mit sich brachte, schien außerordentlich schlecht und dünn zu sein.
    Rees kroch durch die Kabel, die seine Welt umgaben, wobei seine Muskeln ständig arbeiteten. Er schaffte zwei volle Rundgänge, kam an Hütten und Kabinen vorbei, die ihm seit seiner Kindheit vertraut waren, eilte vorbei an wohlbekannten Gesichtern. Die feuchte Wolke, die dünne Luft und die Begrenztheit des Gürtels schienen alle irgendwo in seiner Brust zusammenzukommen. Fragen jagten durch sein Gehirn. Warum waren die von Menschen erfundenen Materialien und Baumethoden so wenig imstande, den Naturgewalten Widerstand zu leisten? Warum waren die menschlichen Körper diesen Gewalten so ausgeliefert?
    Warum hatten seine Eltern sterben müssen, ohne daß sie ihm eine Antwort auf die Fragen gegeben hatten, die ihn seit seiner Kindheit verfolgten?
    Bruchstücke von Rationalität blitzten in der Konfusion seines übermüdeten Gehirns auf. Seine Eltern hatten die Umstände, unter denen sie lebten, nicht besser verstanden als er; nichts als Legenden hatten sie ihm vor ihrem elenden Tod erzählen können. Kindermärchen von einem Schiff, einer Besatzung, von etwas, das man Bolder’s Ring nannte… Aber seine Eltern hatten eines besessen: Fatalismus. Sie und der Rest der Bewohner des Gürtel – selbst die engagiertesten, wie z. B. Sheen – schienen sich in ihr Schicksal zu fügen. Nur Rees schien von Zweifeln und unbeantworteten Fragen geplagt zu sein.
    Warum konnte er nicht sein wie alle anderen? Warum konnte er nicht akzeptieren und akzeptiert werden?
    Er gönnte sich eine Ruhepause, denn seine Arme schmerzten, und Nebel schlug ihm entgegen. In diesem ganzen Universum gab es nur ein einziges Wesen, mit dem er darüber sprechen konnte und das sinnvolle Antworten auf seine Fragen geben würde.
    Und das war ein Maulwurf.
    Einer plötzlichen Eingebung folgend, sah er sich um. Er war vielleicht hundert Meter von der nächsten Förderkorbstation der Mine entfernt. Seine Arme und Beine trugen ihn mit neuer Kraft dorthin.
    Eine Nebelwand bildete sich hinter Rees, als er die Station betrat.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher