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Wut

Wut

Titel: Wut
Autoren: Salman Rushdie
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Jahre später stand Professor Solanka unter einer heißen Dusche, um sich nach seinem regennassen Tanz mit den Calypso-Freunden aufzuwärmen, und kam sich wie ein pompöser Trottel vor. Eleanors These gegen sie anzuwenden war eine Grausamkeit, die er ihr leicht hätte ersparen können. Was bildete er sich ein, sich selbst und seinen armseligen Aktionen diese hehren Shakespeareschen Motive zu unterstellen? Woher nahm er den Mut, sich selbst mit dem Mohr von Venedig und König Lear zu vergleichen, seine bescheidenen Geheimnisse mit den ihren? Eine derartige Eitelkeit war mehr als ein adäquater Grund für die Scheidung. Er konnte sie zurückrufen und ihr das als eine Art Entschuldigung erklären. Aber auch damit würde er einen falschen Ton treffen. Eleanor wollte die Scheidung nicht. Selbst jetzt wollte sie ihn noch zurück. »Du weißt genau«, hatte sie ihm mehr als einmal gesagt, »daß alles wieder gut wäre, wenn du dich nur entschließen könntest, diesen Gedanken aufzugeben, diesen idiotischen Gedanken. Alles würde wieder gut. Ich kann’s nicht ertragen, daß du das nicht willst.«
    Und das war die Frau, die er verlassen hatte! Wenn sie einen Fehler hatte, dann den, daß sie nicht gut blasen konnte. (Seine eigene Exzentrizität bestand darin, daß er es haßte, wenn sie beim Liebesakt seinen Kopf berührte.)
    Wenn sie einen Fehler hatte, dann den, daß sie einen so feinen Geruchssinn hatte, daß sie ihm das Gefühl gab, er fülle das ganze Zimmer mit seinem Gestank. (Infolgedessen jedoch hatte er begonnen, sich öfter zu waschen.) Wenn sie einen Fehler hatte, dann den, daß sie Sachen kaufte, ohne danach zu fragen, was sie kosteten, ein außergewöhnlicher Zug an einer Frau, die, wie die Briten es ausdrückten, nicht vom Geld kam. Wenn sie einen Fehler hatte, dann den, daß sie sich daran gewöhnt hatte, ausgehalten zu werden, und zu Weihnachten mehr Geld ausgeben konnte, als die Hälfte der Bevölkerung in einem Jahr verdiente. Wenn sie einen Fehler hatte, dann den, daß ihre Mutterliebe sie für die Bedürfnisse der restlichen Menschheit blind machte, sogar, um es grob auszudrücken, für Professor Solankas. Wenn sie einen Fehler hatte, dann den, daß sie sich mehr Kinder wünschte. Daß sie sich sonst gar nichts wünschte. Nicht mal alles Gold Arabiens.
    Nein, sie war makellos: die zärtlichste, aufmerksamste Liebhaberin, eine ganz außerordentliche Mutter, charismatisch und erfindungsreich, die angenehmste und erfreulichste Gesellschafterin, eine, die nicht viel, aber Geistreiches zur Unterhaltung beisteuerte (siehe das erste Telefongespräch) und ein Connoisseur nicht nur in Sachen Essen und Trinken, sondern auch des menschlichen Charakters war. Ein Lächeln von Eleanor Masters Solanka bedeutete immer, daß man sich auf subtile und höchst angenehme Art geschmeichelt fühlte. Ihre Freundschaft war ein Schultertätscheln. Und wenn sie mit dem Geld um sich warf - na und? Die Solankas waren völlig unerwarteterweise wohlhabend geworden, und zwar dank der fast erschreckenden, weltweiten Popularität einer weiblichen Puppe mit verschmitztem Grinsen und jener kecken Unbekümmertheit, die man gerade als attitude zu bezeichnen begann, deren blonde, dunkeläugige, liebenswürdigere Fleisch-und-Blut-Verkörperung der acht Jahre später geborene Asmaan Solanka zu sein schien. Obwohl er ein richtiger Junge war, fasziniert von riesigen Schaufelbaggern, Dampfwalzen, Raketenschiffen und Lokomotiven und gefesselt von der Ich-glaube-ich-kann Ich-glaube-ich-kann Ich-dachte-ich-könnte Ich-dachte-ich-könnte-Entschlossenheit von Casey Jones, der unbezwingbaren kleinen Lokomotive in Dumbo, wurde Asmaan ständig und ärgerlicherweise für ein Mädchen gehalten, vermutlich wegen seiner Schönheit und den langen Wimpern, vielleicht aber auch, weil er die Menschen an das frühere Produkt seines Vaters erinnerte. Der Name der Puppe lautete Braingirl.

2
    Ende der achtziger Jahre hatte Professor Solanka genug vom Akademikerleben, von seiner Kleinlichkeit, seinen Nahkämpfen und seinem ultimativen Provinzialismus. »Das Grab gähnt vor uns allen, aber für die Dozenten gähnt es vor Langeweile«, erklärte er Eleanor und setzte hinzu - unnötigerweise, wie sich ergab »Stell dich schon mal auf ein Leben in Armut ein.« Dann gab er zur Bestürzung seiner Kollegen, doch mit der uneingeschränkten Zustimmung seiner Frau seine sichere Position am King’s College in Cambridge auf - wo er Forschungen über die Verantwortlichkeit des
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