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Wut

Wut

Titel: Wut
Autoren: Salman Rushdie
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Einfluß des Designs und Kunsthandwerks der Bloomsbury Group ansah und in der es einen Käfig mit einem Papagei gab, der ihr Lachen imitierte: ein kraftvolles Lachen für eine so zierliche Frau. Sein erstes und letztes Blind Date; wie sich herausstellte, paßte sie genau zu ihrer Stimme; sie war nicht einfach nur schön, sondern auch intelligent, irgendwie sowohl selbstsicher als auch verletzlich, und eine großartige Köchin. Nach dem Verzehr großer Mengen Kapuzinerkresse und dem reichlichen Genuß seines roten Toskaners begann sie ihre Doktorarbeit zu erklären (sie saßen inzwischen in ihrem Wohnzimmer auf einem handgewebten Teppich von Cressida Bell auf dem Fußboden), doch seine Küsse unterbrachen sie, denn Professor Solanka hatte sich sanft wie ein Lamm verliebt. Während der langen guten Jahre hatten sie munter darüber gestritten, wer von ihnen den ersten Schritt getan hatte, wobei sie immer wieder hitzig (aber mit strahlenden Augen) abstritt, jemals so dreist gewesen zu sein, während er - obzwar wissend, daß es nicht stimmte - behauptete, daß sie sich ihm an den Hals geworfen  habe.
    »Willst du das denn nun hören oder nicht?« Ja, hatte er genickt, mit der Hand eine ihrer kleinen, schön geformten Brüste streichelnd. Sie hatte ihre Hand auf die seine gelegt und sich in ihren Vortrag gestürzt. Ihre Behauptung lautete, daß allen großen Tragödien eigentlich unbeantwortbare Fragen über die Liebe zugrunde lagen und daß wir, um den Stücken Sinn zu geben, versuchen müßten, diese unerklärlichen Dinge auf unsere eigene Art und Weise zu erklären. Warum hatte Hamlet, der seinen toten Vater liebte, endlos lange mit seiner Vergeltung gezögert, während er, der von Ophelia geliebt wurde, statt dessen diese vernichtete? Warum hatte Lear, der von seinen Töchtern Cordelia am innigsten liebte, die Liebe in ihrer ehrlichen Eröffnungsszene nicht gehört und wurde daher Opfer der Lieblosigkeit ihrer Schwester, und warum ließ sich Macbeth, ein sehr männlicher Mann, der seinen König und sein Land liebte, so mühelos von der erotischen, doch lieblosen Lady M. auf einen bösen, blutigen Thron führen? Professor Solanka in New York, immer noch gedankenlos das schnurlose Telefon in der Hand, erinnerte sich voll Ehrfurcht an die steif aufgerichtete Brustwarze der nackten Eleanor unter seinen streichelnden Fingern; überdies an ihre außergewöhnlichen Lösungen für das Problem Othellos, das für sie nicht die  grundlose Bösartigkeit des Jago war, sondern die mangelnde emotionale Intelligenz des Mohren, Othellos unglaubliche Dummheit in Sachen Liebe, die schwachsinnige Leiter der Eifersucht, die ihn aufgrund durchsichtigster Beweise zum Mord an seiner angeblich geliebten Frau führt . Daraus schloß Eleanor: »Othello liebt Desdemona nicht. Dieser Gedanke ist mir eines Tages einfach so durch den Kopf geschossen. Eine richtige Erleuchtung für mich. Er sagt, daß er sie liebt, aber das kann nicht stimmen. Denn wenn er sie liebte, ergibt der Mord keinen Sinn. Für mich ist Desdemona Othellos weibliche Trophäe, sein wertvollster und Status verleihender Besitz, der körperliche Beweis für seinen hohen Stand in der Welt der Weißen. Verstehst du? Das liebt er an ihr, sie selbst aber liebt er nicht. Othello selbst ist eindeutig kein Schwarzer, sondern ein Mohr : ein Araber, ein Moslem, und sein Name ist vermutlich die latinisierte Form des arabischen Attallah oder Ataullah. Also ist er kein Mensch der christlichen Welt aus Sünde und Erlösung, sondern vielmehr des moralischen Universums des Islams, dessen Gegenpole Ehre und Schande sind. Desdemonas Tod ist ein Ehrenmord . Sie brauchte nicht schuldig zu sein. Die Anschuldigung reichte. Deswegen hat er ihr nicht zugehört oder ihr einen Zweifel zugebilligt oder irgend etwas getan, das ein Mann tun würde, der eine Frau liebt. Othello liebt einzig sich selbst, sich selbst als Liebhaber und Führer, was Racine, ein eher aufgeblasener Autor, als seine flamme, seine gloire bezeichnet hätte. Nicht mal ein Mensch ist sie für ihn. Er hat sie vergegenständlicht. Sie ist seine Oscar-Barbie-Statuette. Seine Puppe. Wenigstens habe ich so argumentiert, und dafür haben sie mir den Doktortitel verliehen, vielleicht ja auch nur als Preis für meine Unverschämtheit, meine Frechheit.« Sie trank einen großen Schluck Tignanello, dann bog sie den Rücken, schlang ihm beide Arme um den Hals und zog ihn zu sich herunter. Die Tragödie verschwand aus seinen Gedanken.
    Viele
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