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Wurzeln

Wurzeln

Titel: Wurzeln
Autoren: Alex Haley
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gehört, daß dieser heilige Mann, sein Großvater, durch Gebete das Dorf gerettet habe und daß er später zu Allah eingegangen sei. Doch erst jetzt begriff Kunta ganz, daß dies der Vater seines eigenen Vaters gewesen war, daß Omoro ihn gekannt hatte, wie Kunta Omoro kannte, daß die Großmutter Yaisa die Mutter von Omoro war wie Binta die Mutter von Kunta. Eines Tages würde auch er eine Frau finden wie Binta, die ihm einen Sohn gebären sollte. Und dieser Sohn wiederum …
    Kunta drehte sich um und schlief mit diesem Gedanken ein.

Kapitel 6
    In den nun folgenden Tagen ließ Binta sich abends von Kunta reines Wasser aus dem Dorfbrunnen holen und kochte darin, was sie hatte finden können. Einiges von der Suppe trug sie dann zur Hütte von Großmutter Yaisa. Binta bewegte sich schwerfälliger als sonst, wie es Kunta vorkam, und er bemerkte, daß sie einen dicken Bauch hatte.
    Die Großmutter sträubte sich zwar dagegen, doch Binta fegte ihre Hütte und machte Ordnung. Die Großmutter hockte unterdessen auf dem Lager und aß zur Suppe Bintas Hungerbrot, das aus einem gelben Pulver gemacht war, das man von den schwarzen Schoten des wilden Johannisbrotbaums abkratzte.
    Eines Nachts schüttelte Omoro seinen Sohn Kunta wach. Binta saß auf dem Bett und klagte leise, und auch Nyo Boto und Bintas Freundin Jankay Touray waren anwesend. Omoro brachte seinen Sohn hastig in seine eigene Hütte, wo Kunta bald schon auf dem Lager des Vaters wieder einschlief. Morgens weckte ihn der Vater, diesmal mit der Nachricht: »Du hast einen kleinen Bruder.« Kunta rappelte sich mühsam auf, rieb sich verschlafen die Augen und meinte, es müsse was Besonderes mit diesem Bruder auf sich haben, anders wäre der sonst so strenge Vater nicht so vergnügt gewesen. Nachmittags, als Kunta mit seinen kafo -Gefährten auf Nahrungssuche war, rief Nyo Boto ihn zur Mutter herein. Binta wirkte recht matt, wie sie da so auf ihrem Lager saß und das Kind auf ihrem Schoß liebkoste. Kunta betrachtete das runzlige schwarze Etwas ein Weilchen, sah dann die beiden strahlenden Frauen an und bemerkte, daß die Mutter keinen dicken Bauch mehr hatte. Er ging wortlos hinaus, blieb einen Moment unschlüssig stehen und setzte sich dann allein hinter der Hütte des Vaters auf den Boden, um nachzudenken über das, was er gesehen hatte.
    Die nächsten sieben Nächte blieb Kunta in der Hütte des Vaters – allerdings nahm niemand besondere Notiz davon, das neue Baby beanspruchte alle Aufmerksamkeit. Kunta argwöhnte bereits, die Mutter wolle ihn nicht mehr – der Vater übrigens auch nicht –, doch änderte sich das, als am achten Tag nach der Geburt des Bruders alle Dorfbewohner und auch Kunta aufgefordert wurden, sich zur Namensgebungszeremonie vor der Hütte von Binta und Omoro einzufinden. Das Kind erhielt den Namen Lamin.
    In der folgenden Nacht schlief Kunta wieder friedlich auf seinem alten Platz – neben der Mutter und nun auch neben Lamin, dem Baby. Als Binta nach einigen Tagen wieder zu Kräften kam, ging sie, nachdem sie Omoro und Kunta das Frühmahl bereitet hatte, meist für den ganzen Tag mit dem Kleinen zur Großmutter Yaisa, und Kunta erkannte an der besorgten Miene beider Eltern, daß die alte Frau sehr krank war.
    Eines Spätnachmittags, wenige Tage später, Kunta und seine kafo -Genossen sammelten die endlich gereiften Mangofrüchte und wilde Cashewnüsse und Affenäpfel, drang aus der Gegend der großmütterlichen Hütte das nun schon vertraute Klagegeheul. Kunta erkannte die Stimme seiner Mutter, die dieses Geheul angestimmt hatte, und wußte gleich, es war die Totenklage, die ihm in den vergangenen Wochen nur allzu vertraut geworden war. Andere Frauen fielen in das Geheul ein, das sich nun durchs ganze Dorf verbreitete. Kunta rannte blind vor Tränen zur Hütte der Großmutter.
    Hier traf er zwischen wimmernden Nachbarn den betrübten Omoro und die bitterlich weinende Nyo Boto. Schon wurde die tobalo- Trommel geschlagen, und der jaliba rief die guten Werke aus, die Yaisa im Laufe eines langen Lebens in Juffure getan hatte. Ganz benommen, sah Kunta verständnislos zu, wie die jungen unverheirateten Frauen mit Fächern aus geflochtenem Gras Staub vom Boden aufwirbelten, wie die Sitte vorschrieb. Niemand schien Kunta zu beachten.
    Als Binta und Nyo Boto und zwei weitere klagende Frauen in die Hütte traten, fiel die Menge draußen auf die Knie und senkte den Kopf. Kunta brach ganz plötzlich in Tränen aus, ebenso vor Angst wie vor Kummer.
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