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Wurzeln

Wurzeln

Titel: Wurzeln
Autoren: Alex Haley
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Hochachtung an. Kunta war schon früher aufgefallen, daß die Erwachsenen Großmutter Yaisa mit viel Respekt behandelten, und er ahnte, daß sie etwas Besonderes sei, ebenso wie die alte Nyo Boto.
    Der große Regen fiel Nacht für Nacht, und schließlich wateten die Menschen knietief im Schlamm, ja, manche bewegten sich sogar in Kanus zwischen den Hütten. Kunta hörte die Mutter sagen, die Reisfelder stünden völlig unter Wasser. Die Männer opferten trotz Hunger und Kälte täglich kostbare Ziegen und Rinder, sie flickten durchlässige Dächer, stützten baufällige Hütten und beteten darum, daß die abnehmenden Vorräte bis zur Ernte reichen möchten.
    Kunta und seine Spielkameraden waren noch so klein, daß sie über dem Spielen im Schlamm den nagenden Hunger vergessen konnten. Inzwischen sehnten sie sich wieder nach dem Anblick der Sonne, und so ahmten sie denn die Erwachsenen nach, reckten die Arme in den schieferfarbenen Himmel und riefen dazu: »Scheine, Sonne, scheine, dann opfere ich dir eine Ziege!«
    Immerhin hatte der lebenspendende Regen alles feucht und grün und üppig gemacht. Überall sangen Vögel, das Pflanzenreich war eine einzige Blütenpracht. Der rötlichbraune, klebrige Schlamm bot sich morgens als ein Teppich aus bunten Blüten und grünen Blättern dar, die der nächtliche Regen abgerissen hatte. Diese strotzende Üppigkeit der Natur war aber begleitet von Krankheiten unter den Bewohnern von Juffure, denn noch war nichts von den so überreich gedeihenden Früchten reif zum Essen. Kinder und Erwachsene starrten sehnsüchtig auf die dicken Mangofrüchte und die Affenäpfel, die büschelweise an den Bäumen hingen, doch die Früchte waren grün, hart wie Stein, und wer davon aß, wurde krank und mußte erbrechen.
    Wenn sie Kunta sah, schnalzte Großmutter Yaisa mit der Zunge und sagte tadelnd: »Nichts als Haut und Knochen.« Dabei war sie ebenso mager wie er, denn jetzt waren sämtliche Vorratsbehälter im Dorf vollkommen leer. Das wenige Viehzeug, das nicht geopfert worden war, mußte am Leben bleiben – und gefüttert werden! –, sollte es im nächsten Jahr noch Jungvieh und Küken geben. Also aß man Nagetiere, Wurzeln und alle möglichen Blätter; solche Nahrungsmittel wurden auf Streifzügen gesammelt, welche den ganzen Tag dauerten.
    Hätten die Männer wie in anderen Jahreszeiten im tiefen Wald gejagt, sie hätten nicht die Kraft gehabt, die Beute heimzuschaffen. Tabus untersagten den Mandinkas, die reichlich vorhandenen Affen zu schlachten und zu essen, auch Eier rührten sie nicht an und nicht die Millionen Ochsenfrösche, denn sie hielten sie für giftig. Und als fromme Moslems wären sie lieber verhungert, als das Fleisch der wildlebenden Schweine anzurühren, die mehr als einmal herdenweise ins Dorf einfielen.
    Kraniche horsteten seit Menschengedenken in den höchsten Zweigen des Wollbaumes, und die Alten fütterten die ausgeschlüpften Jungen mit Fischen, die sie im bolong spießten. Die alten Weiber und die Kinder suchten nun den anfliegenden Kranichen diese Fische abzujagen, indem sie sie erschreckten oder mit Steinen nach ihnen warfen. Damit erschreckten sie auch die Jungen, die dann wohl einen Fisch fallen ließen, der durch das dichte Blattgewirr von Ast zu Ast und schließlich zu Boden fiel, wo sich die Kinder um ihn balgten; der Sieger konnte daheim ein Festmahl daraus bereiten lassen. Manchmal wurden von den Steinen auch die Vögel getroffen, die dann mitsamt der Beute herunterfielen und sich beim Sturz verletzten. Die gaben dann noch eine Kranichsuppe ab. Das kam aber nur selten vor.
    Abends trafen sich die Familien in ihren Hütten, und jeder zeigte vor, was er ergattert hatte – manchmal nur einen Maulwurf oder ein paar Würmer –, und alles wanderte in die Suppe, die scharf gewürzt wurde, um den nicht eben delikaten Geschmack aufzubessern. Solche Speise füllte den Bauch, hatte aber keinen Nährwert. Also begannen die Bewohner von Juffure zu sterben.

Kapitel 5
    Man hörte nun immer häufiger das schrille Klagegeschrei der Frauen. Am besten waren die dran, die so alt oder so jung waren, daß sie nicht begriffen, was dies Geschrei bedeutete. Kunta allerdings war nun alt genug, er wußte, es hieß, daß soeben ein geliebter Mensch gestorben war. Oft brachte man nachmittags einen Mann vom Feld, der dort noch gejätet hatte, aber eigentlich schon zu krank dazu gewesen war; man trug ihn auf einem Rinderfell, und er rührte sich nicht mehr.
    Manche Erwachsenen hatten
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