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Wurzeln

Wurzeln

Titel: Wurzeln
Autoren: Alex Haley
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Männer brachten einen frisch gefällten, der Länge nach gespaltenen Baumstamm und setzten ihn vor der Hütte ab. Kunta sah, daß die Frauen den Leichnam der Großmutter auf die flache Seite des Stammes betteten und sie von Kopf bis Fuß mit weißem Baumwolltuch umwanden.
    Trotz seiner Tränen nahm Kunta wahr, daß die Trauernden siebenmal im Kreise um Yaisa herumgingen und beteten, während der alimamo Allah in eindringlichen Heultönen ersuchte, die Verstorbene in der Ewigkeit ihren Vorfahren zuzugesellen. Um ihr für die weite Reise Kräfte zu geben, stellten junge unverheiratete Männer mit Asche gefüllte Rinderhörner behutsam rings um die Bahre auf.
    Als die Trauergemeinde sich verlaufen hatte, blieben Nyo Boto und andere Greisinnen zurück; sie hielten sich in der Nähe, weinten und preßten den Kopf in die Hände. Bald stellten junge Mädchen sich ein, mit den größten Blättern, die sie hatten finden können, welche die Häupter der Greisinnen während der Totenwache vor dem fallenden Regen schützen sollten. So saßen die alten Weiber da, und bis weit in die Nacht erzählten die Dorftrommeln von Großmutter Yaisa.
    Im Frühnebel begleiteten einzig die Männer von Juffure den Leichnam zum Begräbnisplatz außerhalb des Dorfes – so wollte es der Brauch. Hier kam sonst niemand her, denn die Mandinkas fürchteten und achteten die Geister der Abgeschiedenen. Hinter den Männern, die Großmutter Yaisas Leichnam auf dem Baumstamm trugen, schritt Omoro, den winzigen Lamin auf dem Arm, an der Hand Kunta, den die Angst sogar am Weinen hinderte. Ihnen folgten die anderen Männer des Dorfes. Der steife, weiß umwundene Leichnam wurde in das frisch gegrabene Loch hinabgelassen und mit einer dicken Matte aus Rohrgeflecht bedeckt. Darauf legte man dornige Zweige, um grabende Hyänen abzuschrecken, darüber kamen Steine, dann ein Hügel aus feuchter Erde.
    Kunta konnte danach viele Tage kaum essen, und er schlief schlecht. Er mochte sich auch seinen Altersgenossen nicht anschließen. Er war so bekümmert, daß der Vater ihn eines Abends mit in seine Hütte nahm und so sanft und leise zu ihm sprach wie nie zuvor. Was er ihm erzählte, sollte den Kummer des Sohnes mildern.
    In jedem Dorf, so sagte der Vater, lebten drei Gruppen von Menschen. Die erste sei die, die man sehe – die umhergehe, esse, schlafe und arbeite. Die zweite Gruppe sei die der Vorfahren, zu denen nun die Großmutter Yaisa sich gesellt habe.
    »Und wer ist die dritte Gruppe?« wollte Kunta wissen.
    »Die dritte Gruppe, das sind die, die darauf warten, auf die Welt zu kommen«, erklärte Omoro.

Kapitel 7
    Der Regen hatte aufgehört, und die Luft zwischen dem grellblauen Himmel und der dampfenden Erde war schwer vom betäubenden Duft der Blüten und Früchte. Schon am frühen Morgen hörte man überall die Frauen Hirse, Mais und Erdnüsse in den Mörsern zerstampfen, nicht die neue Ernte, sondern die früh gekeimte Saat, die bei der vorigen Ernte im Boden geblieben war. Die Männer gingen auf die Jagd, sie erlegten feiste Antilopen, deren Fell gegerbt wurde. Die Frauen sammelten eifrig die reifen roten Mangkanobeeren, sie breiteten Tücher unter den Sträuchern aus und schüttelten sie. Die Beeren wurden in der Sonne getrocknet, dann las man die Körner aus dem köstlich schmeckenden futo -Mehl. Nichts wurde verschwendet. Die Samenkörner wurden gewässert und mit gestoßener Hirse zu einem süßlichen Brei verkocht, den Kunta und alle anderen als willkommene Abwechslung von der üblichen Maisgrütze begrüßten.
    Mit jedem Tag wurde der Speisezettel reichhaltiger, und man hörte und sah förmlich, wie das Leben nach Juffure zurückkehrte. Die Männer gingen wieder viel forscher, sie musterten stolz die Feldfrüchte, die bald schon zur Ernte anstanden. Weil das Hochwasser schnell abnahm, konnten die Frauen wieder zu den Reisfeldern paddeln und die letzten Unkräuter zwischen den hohen grünen Reispflanzen ausreißen.
    Im Dorf hörte man nach langer Hungerzeit wieder die Kinder lachen und spielen. Die Bäuche waren gefüllt mit nahrhaftem Essen, die Geschwüre heilten ab, und sie tollten wie die Besessenen umher. Sie fingen Skarabäen und veranstalteten Wettrennen mit ihnen, sie gruben Termiten aus und sahen zu, wie diese flügellosen Insekten total verwirrt durcheinanderwimmelten. Manchmal störten die Jungen auch die kleinen Erdhörnchen auf und jagten sie in den Busch, und nichts machte ihnen größere Freude, als vorbeimarschierende Horden
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