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Wurzeln

Wurzeln

Titel: Wurzeln
Autoren: Alex Haley
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zu haben, rannten sie vor ihm ins Dorf, um den Erwachsenen zu berichten, die an diesem Tag den Dienst in der Gasthütte versahen. Der Tradition gemäß war es in jedem Dorf täglich die Pflicht einer anderen Familie, Besuchern kostenlos Nahrung und Obdach zu gewähren, solange diese sich im Dorf aufhielten.
    Da man ihnen das Amt des Wächters übertragen hatte, benahmen Kunta, Sitafa und ihre Altersgenossen sich von nun an verantwortungsbewußter, als es ihrem Alter zugekommen wäre. Jeden Morgen nach dem Frühmahl versammelten sie sich im Schulhof des arafang und hörten kniend zu, wie er den Knaben des zweiten kafo , die etwas älter waren als Kunta, nämlich zwischen fünf und neun Regen, das Lesen von Koranversen und das Schreiben mit festen Grashalmen beibrachte, die in den Saft bitterer Orangen getaucht wurden, dem der Ruß vom Boden der Kochtöpfe beigemischt wurde.
    Wenn die Schuljungen das Tagespensum hinter sich hatten und mit fliegenden Zipfeln ihrer aus Baumwolle gefertigten dundikos davonliefen, um die Ziegen des Dorfes in den Busch zu treiben, stellten Kunta und seine Freunde sich teilnahmslos, in Wahrheit aber beneideten sie die älteren Knaben ebenso um ihre langen Hemden wie um deren wichtige Aufgabe. Kunta sagte zwar nichts, hatte aber wie die anderen das Gefühl, schon zu alt zu sein, um wie ein Kind behandelt zu werden und nackt herumzulaufen. Die Säuglinge mieden sie, als hätten sie eine ansteckende Krankheit, und die Kleinkinder, die gerade laufen konnten, beachteten sie noch weniger, es sei denn, die Erwachsenen schauten gerade einmal nicht hin, dann konnte man ihnen einen Klaps verabreichen. Kunta, Sitafa und die anderen drängten sich zu den Erwachsenen im Alter ihrer Eltern, in der Hoffnung, bemerkt zu werden und einen Auftrag erteilt zu bekommen; die Großmütter, die sich ihrer angenommen hatten, soweit sie zurückdenken konnten, waren bei ihnen jetzt auch nicht mehr sehr beliebt.
    Kurz vor Beginn der Ernte bemerkte Omoro beiläufig eines Abends nach dem Essen, Kunta müsse am nächsten Morgen früh aufstehen und ihm helfen, das Feld zu bewachen. Kunta war so aufgeregt, daß er kaum schlafen konnte. Er schlang seine Grütze hinunter und platzte schier vor Wonne, als Omoro ihm die Hacke gab und sagte, er solle sie aufs Feld tragen. Kunta und seine Gefährten liefen nun unermüdlich brüllend und Stöcke schwingend über die Felder und bedrohten die wilden Schweine und Paviane, die aus dem Wald kamen, um Wurzeln auszugraben oder Erdnüsse. Sie warfen mit Lehmklumpen nach Staren, die immer wieder in den Mais einfielen, denn von den Großmüttern hatten sie gehört, daß hungrige Vögel ebenso schnell die Ernte vernichten können wie andere Tiere. Den ganzen Tag waren sie unermüdlich auf den Beinen, sammelten Maiskörner und Erdnüsse, welche die Väter ausgerissen hatten, um die Reife zu prüfen, holten kühles Wasser für die Erwachsenen, und ihre Flinkheit wurde nur noch von ihrem Stolz übertroffen.
    Allah bestimmte, daß die Ernte sechs Tage später beginnen sollte. Nach dem Morgengebet gingen Väter und Söhne auf die Felder – einige Auserwählte durften kleine tan-tang- und souraba -Trommeln tragen – und warteten lauschend auf dem Feld, bis im Dorf die große tobalo -Trommel dröhnte und den Bauern das Zeichen gab, mit der Ernte zu beginnen. Zum Takt der Trommler, die sich zwischen ihnen bewegten, fingen alle an zu singen. Hin und wieder ließ einer der Männer sich hinreißen, zum Schlag der Trommel seine Hacke in die Luft zu werfen, um sie beim nächsten Trommelschlag wieder aufzufangen.
    Kuntas kafo -Kameraden hielten sich schwitzend bei ihren Vätern und befreiten die Erdnußranken vom Lehm. In der Mitte des Vormittags wurde die erste Pause eingelegt, und mittags begrüßte man mit Jubel die Frauen und Mädchen, die das Essen brachten. Diese kamen im Gänsemarsch daher und sangen ebenfalls Erntelieder. Sie hoben die Töpfe von ihren Köpfen, schöpften deren Inhalt in Kalabassen und boten den Trommlern und Erntearbeitern davon an, die erst aßen und dann ein Schläfchen hielten, bis sie die tobalo -Trommel von neuem dröhnen hörten.
    Am Ende des ersten Tages lagen überall auf den Feldern abgeerntete Ranken aufgehäuft. Die Männer gingen verschwitzt und schmutzig zum nächsten Bach, wo sie sich wuschen und abkühlten. Anschließend wanderten sie heim und schlugen unentwegt nach den Fliegen, die sich auf den glänzenden Körpern niederlassen wollten. Vom Dorf her roch es
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