Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
. . . Wurde Sie Zuletzt Gesehen

. . . Wurde Sie Zuletzt Gesehen

Titel: . . . Wurde Sie Zuletzt Gesehen
Autoren: Colin Dexter
Vom Netzwerk:
waren an Public Schools erzogen worden. Ihr Selbstbewußtsein schien grenzenlos, ihre Umgangsformen ebneten ihnen alle Wege. Es waren Leutnants, Oberleutnants, Hauptleute. Sie hatten die Offizierslaufbahn als etwas für sie Selbstverständliches reklamiert, und ihr Anspruch war zu gegebener Zeit eingelöst worden. Über Jahre hinweg hatte er wegen dieser Bevorzugung einen dumpfen Groll verspürt. Schließlich hatte er genau wie sie eine Public School absolviert …
    Die Busse verkehrten offenbar nur in größeren Abständen, und ihm kamen Zweifel, ob er noch rechtzeitig zur Abfahrt des Zuges um 8 Uhr 35 am Bahnhof sein würde. Er trat einen Schritt vor und blickte die gut erleuchtete Straße hinunter, ehe er sich wieder in den Schutz des Wartehäuschens zurückzog, dessen Holzwände, wie nicht anders zu erwarten, mit gekritzelten und eingeritzten Obszönitäten übersät waren. Der unvermeidliche Kilroy hatte auf seinen rastlosen Wanderungen auch hier seinen Namenszug hinterlassen, und mehrere ortsansässige Prostituierte hatten die Wände dazu benutzt, potentiellen Kunden ihre Willfährigkeit zu annoncieren. Eine Enid behauptete, einen Gary zu lieben, und ein Dave versicherte einer Monica seine Zuneigung. Zahlreiche Verwünschungen legten den Schluß nahe, daß Oxford Un i ted seine Fans seit einiger Zeit ziemlich frustriert haben mußte. Allen Faschisten wurde geraten zu verschwinden. Für Angola, Chile und Nordirland wurde Freiheit gefordert. Eine Scheibe in einer der Seitenwände war eingeschlagen, und hier und dort blinkten zwischen eingetrockneten Apfelsinenschalen, leeren Chipstüten und zerbeulten Coladosen Glasscherben. Abfall! Angewidert verzog er das Gesicht. Ein Anblick wie dieser löste bei ihm immer eine Art moralischer Empörung aus, viel stärker und nachhaltiger, als eine anstößige sexuelle Darstellung es vermocht hätte. Wenn er irgendwann in ferner Zukunft einmal an maßgebender Stelle sitzen sollte, würde er als erstes strikte Anordnungen erlassen, wie mit Abfall zu verfahren sei. Aber auch auf seinem neuen Posten würde er diesbezüglich schon einige Möglichkeiten haben. – Wenn sie ihn wirklich nahmen …
    Wo blieb nur der Bus? Schon Viertel vor acht! Vielleicht blieb er doch besser über Nacht in Oxford. Die Entscheidung stand ihm frei. Was sprach eigentlich dagegen? Es war schon Jahre her, daß er mehr als einen Tag getrennt von seiner Familie verbracht hatte. Und auf das Geld kam es nicht an. Die Schulbehörde hatte sich bei der Erstattung der Reisespesen außerordentlich großzügig gezeigt. Das Auswahlverfahren mußte die Gemeindekasse einiges gekostet haben. Nicht weniger als sechs Bewerber in der engeren Auswahl – und einer sogar aus Inverness! Der hätte sich eigentlich gar nicht erst herzubemühen brauchen, er hatte sowieso keine Chance gehabt. Was sie sich nur dabei gedacht hatten, den einzuladen? Alles in allem schon eine merkwürdige Erfahrung, so eine Begegnung von Konkurrenten. Mehr als oberflächliche Freundlichkeit kam von vornherein nicht auf. Die Atmosphäre hatte ihn an das erinnert, was er einmal über Schönheitswettbewerbe gelesen hatte: Alle trugen eine Maske von Freundlichkeit, die nur schlecht verbarg, daß man einander am liebsten die Augen ausgekratzt hätte.
    Plötzlich fiel ihm noch eine Frage ein, die sie gestellt hatten: »Vorausgesetzt, Sie würden das Amt übernehmen, was denken Sie, wäre zunächst Ihr größtes Problem?«
    »Ich könnte mir vorstellen, der Hausmeister.«
    Seine Antwort war ganz ernst gemeint, und der begeisterte Ausbruch von Heiterkeit, den er damit auslöste, verblüffte ihn. Erst hinterher hatte er erfahren, daß der jetzige Pedell eine Art Unmensch zu sein schien, den alle wegen seiner Widerspenstigkeit und Übellaunigkeit insgeheim fürchteten.
    Ja, dachte er beruhigt, er war ein Bewerber nach ihrem Geschmack, er würde den Posten bekommen. Und eine wichtige taktische Maßnahme würde sein, sich die Anerkennung des Kollegiums und der Schüler zu sichern, indem er dieses Ekel von Hausmeister vor die Tür setzte. Als nächstes kam der Abfall an die Reihe. Und danach …
    »Warten Sie auf den Bus?«
    Er hatte nicht mitbekommen, wie sie das Wartehäuschen betreten hatte. Unter ihrem Plastikhut glänzte ihr Gesicht von Regentropfen. Er nickte. »Scheint ja nicht gerade häufig zu fahren.« Sie kam auf ihn zu. Ein hübsches Mädchen. Ihr Mund gefiel ihm. Schwer zu sagen, wie alt sie war. Achtzehn? Vielleicht auch jünger.
    »Es muß gleich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher