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. . . Wurde Sie Zuletzt Gesehen

. . . Wurde Sie Zuletzt Gesehen

Titel: . . . Wurde Sie Zuletzt Gesehen
Autoren: Colin Dexter
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Gefühl, als fiele ihr die Decke auf den Kopf. Das lag sicher auch daran, daß es hier so wenig für sie zu tun gab, und wenn sie wegging, wußte sie auch nicht so recht, was sie tun sollte. Das alles war natürlich nicht Davids Schuld, aber … Diese verdammten Pickel! Sie wischte die alte Creme ab und trug eine neue Schicht auf. Vielleicht wäre es besser, sie ließe die Haut einmal eine Zeitlang ganz in Ruhe und setzte ihr Gesicht einfach nur der Sonne aus. Aber das war leichter gesagt als getan. Heute war es draußen wieder mal bedeckt, und bald würden schon wieder die ersten kalten Tage kommen. Hier in Nord-Wales wurde es viel kälter als in Oxford. Wenn sie an den vergangenen Winter dachte … Brrrh! Noch so einen Winter würde sie nicht mehr mitmachen … Der Abwasch war fertig, und David saß unten im Wohnzimmer und sah Hefte nach. Sie hatte das Gefühl, er tue überhaupt nichts anderes, als zu korrigieren. Es würde natürlich ein furchtbarer Schlag für ihn sein, aber …
    Sie trat an den Schrank und nahm das lange, rote Samtkleid heraus, das sie letzte Woche in die Reinigung gegeben hatte. Sie hielt es sich vor, betrachtete sich im Spiegel und begann zu träumen – Abendessen bei Kerzenschein, Parties, Bälle … Es war schon so lange her, daß sie ausgegangen war, richtig ausgegangen … Sie mußte sich bald wieder die Haare nachfärben. Die schwarzen Wurzeln waren schon fast einen Zentimeter lang. Sie würde daran denken und sich morgen eine Flasche Poly-Blondierung kaufen. Oder sollte sie die Farbe einfach herauswachsen lassen? Vielleicht war es gar nicht mehr nötig, daß sie ihr Aussehen veränderte. Neulich in Oxford hätte sie bestimmt auch mit ihrer echten Haarfarbe niemand erkannt. Aber das nächste Mal, wenn sie hinfuhr, würde sie nicht wieder einen Wagen mieten. Das kam zu teuer. Es war viel besser, mit dem Bus bis Bangor zu fahren und von dort auf der A 5 zu trampen. Es gab immer noch viele Männer, die allein unterwegs waren und nur darauf warteten, daß ein hübsches Mädchen zu ihnen einstieg. Und die A 5 war sowieso eine gute Straße – sie ging durch bis London …
    Ein Glück, daß sie David gegenüber das mit dem Auto erwähnt hatte. Davor hatte sie wirklich ein bißchen Angst gehabt, daß sie auf die Idee kommen könnten, die Wagenvermietungen zu überprüfen. Sie hatte David natürlich nicht den wahren Grund für ihre Fahrt gesagt, sondern behauptet, sie habe ihre Mutter besuchen wollen. Sie hatte zugegeben, daß es eine dumme, unvernünftige Idee gewesen sei, und ihm versprochen, so etwas nicht wieder zu tun. Aber ihm einzuschärfen, daß er sagen solle, sie könne nicht Auto fahren – das war wirklich vorausschauend gewesen. Und anscheinend hatten sie ja tatsächlich danach gefragt. Dieser Morse war eben clever. Beim erstenmal, als er vor der Haustür gestanden hatte, hatte sie ihn wirklich ganz schön provoziert. Aber es hatte sie so gereizt. Und dann sein zweiter Besuch. Das war wirklich der schlimmste Moment in ihrem ganzen bisherigen Leben gewesen, als sie die Haustür aufgeschlossen hatte und ihn sah, wie er in die offene Küchenschublade blickte. Sie hatte natürlich ein neues gekauft, aber es war haargenau dasselbe Messer … Komisch, er hatte gar nichts davon gesagt.
    Sie warf noch einen kurzen Blick in den Spiegel. Die Behandlung schien ihrer Haut gutgetan zu haben. Die Pickel sahen schon nicht mehr ganz so schlimm aus. Sie machte die Schlafzimmertür hinter sich zu … Morse! Während sie die knarrende Holztreppe hinunterstieg, spielte ein kleines, etwas spöttisches Lächeln um ihre Lippen. Das Gesicht, das er gemacht hatte! Oui. Je l ’ ai étudié d ’ abord à l ’ école et après …
    Im Polizeipräsidium von Caernarvon klingelte das Telefon, und das Fräulein von der Vermittlung fragte beim diensttuenden Inspector nach, ob sie den Anruf durchstellen solle.
    »Ja, ja.« Er hielt eine Hand über die Sprechmuschel und sagte sotto voce zu dem ihm gegenübersitzenden Sergeant: »Es ist schon wieder dieser Morse.«
    »Morse, Sir?«
    »Ja, erinnern Sie sich nicht mehr, dieser Typ aus Oxford, der uns das letzte Wochenende so auf Trab gehalten hat. Bin mal gespannt, was er jetzt schon wieder … Hallo, Sir, kann ich Ihnen behilflich sein?«

Epilog
     
    Hier werden Tränen dem Leid, es rührt das Menschliche
    Menschen
    Vergil, Äneis I
     
    Erst am Samstag morgen rief Morse den wegen der Verzögerung schon etwas gekränkten Lewis ins Büro, um ihn über die Ereignisse
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