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Wuestentochter

Wuestentochter

Titel: Wuestentochter
Autoren: Sarah Bryant
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Kriegers hatte er von Anfang an kein Interesse gezeigt, sondern war Schäfer geworden, und er machte seine Sache gut. Seine Schafe warfen immer lebende Lämmer, und er hatte ein Auge für die saftigsten Weiden, sodass sie auch die fetteste Milch im Tal gaben.
    Er hatte sich schon vor langer Zeit mit Abi Guls Bruder Arsalan angefreundet, und zuerst hatte Khalidah gedacht, die beiden würden  vielleicht mehr als nur Freunde werden. Aber Bilal hatte auf eine diesbezügliche Andeutung nur gelacht. »Arsalan ist ein netter Bursche, aber behaart wie ein Schaf. Außerdem mag er Mädchen. Er ist mein Freund, nicht mehr und nicht weniger.«
    »Nun, Bilal«, sagte Khalidah, als er jetzt vor ihr stand. »Was führt dich denn von deinem Berg herunter?«
    Bilal kniete sich auf den Teppich. Er trug traditionelle Dschinn-Kleidung, dazu einen langen Dolch in seiner Schärpe und ein schweres wollenes Wams zum Schutz vor Raubtieren und Kälte. Khalidah fiel auf, wie kunstvoll das Wams bestickt war: leuchtend blaue Mohnblumen prangten auf dunkelrotem Grund. Der Farbton der Blüten entsprach genau dem von Bilals Augen, die in seinem sonnenverbrannten Gesicht jetzt noch heller leuchteten.
    »Das ist eine sehr schöne Arbeit«, bemerkte sie. »Und ich glaube, ich weiß auch, wer die Künstlerin ist, denn keine Frau im Tal führt eine Nadel so geschickt wie Abi Gul.«
    Zu ihrer Überraschung stieg Bilal das Blut in die Wangen. »Ja, die Stickerin war Abi Gul. Und ihretwegen bin ich heute auch zu dir gekommen.«
    »Oh?« Khalidah überkam plötzlich das Gefühl, als würde ihr der Boden unter den Füßen weggezogen.
    Bilal nickte, dann lächelte er. Strahlte förmlich, hätte sie gesagt, hätte sie klar denken können. »Khalidah, ich bin hier, um dich zu bitten, uns zu trauen - Abi Gul und mich. Ich möchte unsere Verlobung auf dem psarlay-Fest bekanntgeben.«
    Als Khalidah zögerte, verdüsterte sich Bilals Miene. Khalidah, der dies nicht entging, nahm sich zusammen und rang sich ein Lächeln ab. »Natürlich könnt ihr heiraten, ihr seid beide erwachsen und euer eigener Herr. Entschuldige meine Verwirrung - es ist nur so, dass ich dachte, deine Neigungen würden … anderswo liegen …«
    Sie brach ab, weil sie fürchtete, ihn gekränkt zu haben. Doch Bilal  lächelte nur breit. »Ich will nicht behaupten, ein Experte auf dem Gebiet der Liebe zu sein, Khalidah. Aber ich glaube, es kommt auf die Seele an, nicht auf den Körper, der sie beherbergt. Salim und Abi Gul könnten rein äußerlich betrachtet nicht unterschiedlicher sein, aber ihre Seelen sind sich so ähnlich, wie ich es nie für möglich gehalten hätte.«
    Khalidah betrachtete ihn lange, dabei versuchte sie, ihrer aufkeimenden Eifersucht Herr zu werden, und schalt sich eine Närrin. Sie war nie in Bilal verliebt gewesen und hätte ihn auch dann nicht heiraten wollen, wenn die Hochzeit ihrer Eltern dies nicht unmöglich gemacht hätte. Außerdem hatte Bilal ebenso gelitten wie sie selbst und verdiente etwas Glück. Doch dieses Glück brachte ihr ihre eigene Einsamkeit nur noch stärker zu Bewusstsein, und es fiel ihr schwer, jetzt ihrer Pflicht als Khanum nachzukommen.
    »Dann lass mich dir als Erste gratulieren«, sagte sie endlich, beugte sich vor und umarmte ihn. »Nichts tue ich lieber als meine beiden besten Freunde in den Hafen der Ehe zu geleiten.«
    Bilal drückte sie kurz an sich, dann erhob er sich. »Danke, Khalidah.«
    »Ich freue mich für dich, Bilal«, erwiderte sie leise. »Schick Abi Gul zu mir, ich möchte ihr auch gratulieren.« Und es gelang ihr, auch weiterhin zu lächeln, bis sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte.
     Khalidah zitterte vor Nervosität, als sie in der ersten Nacht des psarlay -Festes die Ansprache an ihr Volk halten musste, doch sowie sie zu sprechen begann, kamen ihr die Worte wie von selbst über die Lippen. Sie vollzog die Zeremonie ohne Zwischenfälle, ein paar Tage später verheiratete sie Bilal und Abi Gul, und danach verlief das Leben wieder in gewohnten Bahnen.
    Und dann erreichte Ende Mai eine folgenreiche Nachricht Qaf. Saladin war im März gestorben - nicht auf dem Schlachtfeld, sondern  nach kurzer Krankheit in seinem Bett in Damaskus. Die Dschinn nahmen die Neuigkeit schweigend auf - diejenigen, die in ihm die Reinkarnation von Mobarak Khan gesehen hatten, kummervoll; der Rest erleichtert und vielleicht auch mit einem leisen Anflug von Genugtuung. Niemand sprach von den Kriegern, die in Palästina zurückgeblieben waren,
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