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Wuestentochter

Wuestentochter

Titel: Wuestentochter
Autoren: Sarah Bryant
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ihrem blutverklebten Schweif hervor: ein Hinterlauf, also eine Steißgeburt, die bei Pferden genauso gefährlich war wie bei Menschen. Khalidah kniete sich neben die Stute, hob ihren Schweif an und stellte fest, dass es sich so verhielt, wie sie befürchtet hatte - der zweite Hinterlauf befand sich noch im Leib der Mutter.
    Sie krempelte die Ärmel ihres Gewandes hoch, schob eine Hand an dem herausliegenden Bein vorbei in den Geburtskanal der Stute, bis sie den zweiten, gebeugten Lauf ertastete. Sowie die momentane Wehe nachließ, bog sie das Bein behutsam gerade und schob es nach unten. Dann wartete sie ab, ob die nächste Wehe das Fohlen weiter herauspressen würde, aber es rührte sich nicht. Seufzend nahm sie ihre Schärpe ab und benutzte sie, um die glitschigen kleinen Beine besser packen zu können. Bei der nächsten Kontraktion drückte sie sie in der Hoffnung, das Becken des Fohlens in eine günstigere Position drehen zu können, fest nach unten. Nach dreien dieser Versuche kam das Fohlen endlich; zuerst die langen spindeldürren Beine, dann der Rumpf und dann mit einem Schwall von Blut und Fruchtwasser der Kopf und die Vorderläufe. Khalidah löste die Reste der Fruchtblase von seinem Fell. Es war ein kleiner Hengst, eine beigefarbene Schönheit wie sein Vater, mit vier weißen Fesseln und einer weißen Blesse. Aber er bewegte sich nicht.
    Müde griff Khalidah nach ihrer ruinierten Schärpe und begann Nase und Seiten des Fohlens zu massieren, um die Flüssigkeit aus seinen Lungen zu pressen. »Atme!«, schrie sie es an. »Atme doch endlich!!« Sie traute ihren Augen kaum, als der kleine Hengst tatsächlich gehorchte, zitternd nach Luft rang und einen weiteren Schwall Flüssigkeit aushustete. Dann blieb er ebenso erschöpft wie seine Mutter liegen, atmete aber ruhig und gleichmäßig. Khalidah betrachtete die Nabelschnur, die ihn noch immer mit Asifa verband. Ohne ein Messer und eine Schnur zum Abbinden konnte sie sie nicht durchtrennen.
    Ein Schatten fiel über sie. Als sie aufblickte, stellte sie fest, dass ein  kleiner Mann mittleren Alters neben ihr stand und jeden ihrer Handgriffe verfolgte. Sein Name war Emal; er war der Besitzer von Sre Zer, dem Vater des Fohlens, den Sulayman, soweit Khalidah wusste, noch immer auf seinen Feldzügen für Saladin ritt. Wortlos zog Emal seinen Dolch aus dem Gürtel und reichte ihn ihr. Nachdem Khalidah ein paar Streifen von ihrer Schärpe gerissen hatte, band sie die Nabelschnur ab und schnitt sie durch.
    »Das war gute Arbeit.« Emal kniete nieder, um Stute und Fohlen zu untersuchen.
    Khalidah zuckte die Achseln. »Mein Vater hat Pferde gezüchtet. Jedes Kind unseres Stammes hätte dasselbe tun können.«
    »Trotzdem hast du zwei gute Pferde gerettet. Ich hätte sie nur ungern verloren.« Er sah den kleinen Hengst an, der bereits aufzustehen versuchte, dann wandte er sich wieder zu Khalidah. »Wie willst du ihn nennen?«
    »Ist die Namenswahl nicht Sache des Pferdebesitzers?«, fragte sie erstaunt.
    »Du hast ihm das Leben gerettet. Er gehört dir.«
    »Aber du hast schon seinen Vater verloren.«
    »Und eine Zuchtstute dafür bekommen«, erwiderte Emal ruhig. »Dich hat das Leben weniger gerecht behandelt, glaube ich.«
    Khalidahs Blick wanderte über die Hügel, Häuser und Bäume hinweg, aber nichts dort inspirierte sie zu einem Namen, der diesem Pferd, das zweifellos zu einem prächtigen Hengst heranwachsen würde, gerecht wurde. Dann sah sie hoch oben am Himmel zwei Vögel ihre Kreise ziehen - Falken wahrscheinlich oder kleine Adler.
    »Shahin.« Sie drehte sich wieder zu dem kleinen Mann und den beiden Pferden um. »Ich nenne ihn Shahin.«
    Emal nickte. »Ein guter Name«, bestätigte er. »Überlass ihn jetzt mir, aber komm in ein paar Stunden wieder, dann steht er auf seinen Beinen.«
    »Wenn du es dir anders überlegst …«, begann Khalidah zögernd.
    »Ein Dschinn steht zu seinem Wort«, unterbrach er sie bestimmt.
    Sie musterte ihn, dann berührte sie ihre Stirn und ihr Herz und verneigte sich; eine Dschinn-Geste, die höchsten Respekt ausdrückte. »Ich danke dir, Sayyid. Du hast mir eine große Ehre erwiesen.«
    Emal schüttelte lächelnd den Kopf. »Hast du noch nicht begriffen, Bibi Khalidah, dass du es bist, die uns geehrt hat?«
     Shahin entwickelte sich tatsächlich zu einem so prachtvollen Hengst, wie Khalidah vermutet hatte, und erwies sich überdies in der Ausbildung als äußerst gelehrig. Im Laufe der Zeit dunkelte sein Fell zu einem hellen
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