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Wünsche (German Edition)

Wünsche (German Edition)

Titel: Wünsche (German Edition)
Autoren: Tobias Jäger
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einen Moment. Dann holte ich jedoch noch einmal tief Luft, bevor ich Dr. Hartmann in das Zimmer folgte.
    Ein himmelblauer Pyjama. Das war das erste, was mir ins Auge fiel, nachdem Dr. Hartmann die Tür hinter uns geschlossen hatte. Der Pyjama und klassische Musik, die im Hintergrund lief.
    Julian hatte verwuschelte, dunkelblonde Haare, die ihm teilweise ins Gesicht fielen. Er war ein bisschen blass, aber seine tiefblauen Augen waren voller Leben. Auf seiner kleinen Nase saß eine Brille mit einem schmalen, silbernen Rahmen. Zudem trug er ein entwaffnendes Lächeln, das ein Kribbeln in meinem Bauch verursachte. In seinem linken Handrücken steckte eine IV-Nadel, über die er, wie ich vermutete, mit Schmerzmitteln versorgt wurde.
    »Julian, das ist Herr Engel«, verkündete Dr. Hartmann.
    Julian kicherte, als er meinen Namen hörte.
    »Das ist der Mann, den du kennenlernen wolltest«, fügte Dr. Hartmann hinzu.
    Ich trat näher an das Bett heran.
    »Hallo, Julian«, sagte ich schüchtern.
    »Hi«, sagte der Junge mit einer zarten Stimme.
    »Nun, ich werde euch zwei alleine lassen«, sagte der Arzt und ging in Richtung Tür.
    »Okay«, sagte Julian, kaum lauter als ein Flüstern.
    »Wenn du irgendetwas brauchst, klingel einfach. Die Schwestern kümmern sich dann um dich«, sagte Dr. Hartmann noch, bevor er die Tür öffnete.
    »Mache ich«, antwortete Julian.
    Dr. Hartmann lächelte mich an. Und zum ersten Mal wirkte sein Lächeln aufrichtig.
    »Ich schaue später wieder bei dir vorbei«, verabschiedete sich Dr. Hartmann, dann schloss er die Tür hinter sich.
    »Dort drüben müsste ein Stuhl stehen«, sagte Julian und riss mich aus meinen Gedanken. Dabei hob er die rechte Hand und deutete auf die andere Seite des Raumes. »Falls Sie sich setzen möchten.«
    »Ist schon in Ordnung«, antwortete ich und gab mir Mühe, meine Stimme ebenso aufmunternd klingen zu lassen wie Dr. Hartmann.
    Ich schaute mich einen Moment lang in seinem Zimmer um. Julians Bett war das Einzige. Offensichtlich hatte er ein Einzelzimmer bekommen. Neben dem Stuhl, auf den er gedeutet hatte, befand sich ein Tisch, auf dem ein paar Blumen standen. Drumherum standen ein paar Karten, in denen ihm gute Besserung gewünscht wurde.
    Ich ging zum Tisch und nahm die größte Karte in die Hand. Sie war offensichtlich von seiner Schulklasse. Unterschrieben hatte seine Lehrerin und ich erkannte 20 bis 25 mal mehr, mal weniger krakelige Kinderhandschriften.
    »Das ist eine schöne Karte, die du von deiner Klasse bekommen hast«, sagte ich.
    »Die ist gestern gekommen«, erklärte der Junge und ich sah wieder dieses wundervolle Lächeln. »Zusammen mit den Blumen. Eine der Schwestern hat sie mir vorgelesen. Sehen Sie Leon’s Unterschrift auf der Karte?«
    Ich überflog einen Moment lang die Unterschriften, bis ich Leon las. Neben dem Namen war ein Smiley gemalt.
    »Ja«, antwortete ich.
    »Er ist mein bester Freund. Er ist im gleichen Heim wie ich.«
    Irgendetwas in seiner Stimme sagte mir, dass das nicht alles war. Aber ich verwarf den Gedanken sofort wieder.
    Ich stellte die Karte zurück an ihren Platz. Dann nahm ich den Stuhl und stellte ihn neben Julians Bett.
    »Hat er dich schon besucht?«, fragte ich, als ich mich setzte.
    »Nein, wir haben nur ein paar Mal telefoniert. Es hat keiner Zeit, um ihn hier her zu bringen«, sagte Julian und seufzte.
    »Das tut mir leid«, sagte ich. »Du magst klassische Musik?«, wechselte ich das Thema.
    »Ja«, antwortete Julian leise.
    »Das sind Bachs Brandenburgische Konzerte , nicht wahr?«
    »Ja. Ich habe die CD letztes Jahr zu Weihnachten bekommen. Im Schulorchester spiele ich Geige.«
    »Wirklich? Ich bin beeindruckt«, sagte ich erstaunt.
    Wieder bekam ich dieses wundervolle Lächeln zu sehen. Dieser Junge faszinierte mich.
    »Warum wolltest du mich kennenlernen?«
    »Ich sterbe«, sagte Julian in einem neutralen Ton.
    »Ja, ich weiß«, sagte ich und schluckte den Kloß in meinem Hals hinunter. Ich musste zwei Mal tief Luft holen, als mir die Tränen in die Augen schossen.
    »Dr. Hartmann hat mir von Ihrem Verein erzählt. Ich habe ihn gefragt, wie es sich der Verein leisten kann, diese Wünsche zu erfüllen. Er hat mir dann von Ihnen erzählt. Mir ist nichts eingefallen, was ich mir wünschen sollte. Aber ich sagte dann, dass es cool wäre, den Mann zu treffen, der es sich leisten kann, die Wünsche der Kinder zu erfüllen.«
    »Es gibt viele Vereine wie meinen«, erklärte ich ruhig. »Ich habe am Anfang, vor
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