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Wolkenfern (German Edition)

Wolkenfern (German Edition)

Titel: Wolkenfern (German Edition)
Autoren: Joanna Bator
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die kleine, pummelige und dunkle Aniela, hatte Grażynka keinen konkreteren Verdacht, als dass es einer von den sechs in Skierniewice gewesen sein konnte, womöglich gar dieser dünne aus Warschau, seufzte sie in den seltenen Augenblicken, wenn die Frage der Vaterschaft ihr überhaupt in den Sinn kam. Hawa, die jüngste, hatte in ihren Papieren stehen: Monika Rozpuch, Vater unbekannt, denn Hawa wollte man im Standesamt von Wałbrzych nicht eintragen, es sei kein polnischer Name, hieß es, und überhaupt stehe er nicht im Vornamensverzeichnis, aber vielleicht wusste die dickliche Standesbeamtin vom schlechten Ruf der Grażynka Rozpuch und wollte ihr eine weitere Extratour vermiesen. Wieso kein polnischer Name, sie kannte ihn doch aus Polen?, rechtfertigte sich Grażynka, wo, wenn nicht in Polen, hatte denn Hawa, die Frau des Kamieńsker Fotografen Ludek Borowic gelebt, diese Hawa, die so leicht in Rührung zu bringen war, die auf Polnisch grüßte und so schöne Augen hatte? Schließlich erklärte sie sich mit dem Namen Monika einverstanden, was gingen sie denn Vorschriften und Regeln an, was war das für ein Unfug, sagte sie achselzuckend, und Hawa blieb sowieso weiterhin Hawa. In diesem Fall machte sich Grażynka über die Frage der Vaterschaft auch nicht mehr Gedanken als bei den älteren Töchtern, vielleicht war es dieser Januszek aus Wałbrzych, der arme Kerl, dessen Frau in der Klapsmühle saß, vielleicht war’s auch die rechte Hand des Ministers aus Warschau gewesen, vielleicht der hinkende Mirek mit den Champignons, der Akkordeon spielte, und jedes Mal, wenn ihr Blick auf die jüngste Tochter fiel, rief sie: Hawa, hallo, Hawa, hier ist die Mama!, um das Kind bei den rasch wechselnden Umgebungen in der Wirklichkeit zu verankern. Im Haus von Hans wurde Hawa ein wenig geistesgegenwärtiger, und erst jetzt machte sich bemerkbar, wie groß, kräftig und stark sie war. Schon in der fünften Klasse begann sie, mit Gewichten zu trainieren, und focht leidenschaftlich gern mit ihrem Stiefvater Ringkämpfe aus. Grażynka gab ihren Kindern, was sie konnte, damit sie sich bei ihrem Anblick freuten und nicht erst jede Gabe aus dem Geschenkpapier der mütterlichen Hingabe wickeln mussten. Was meinst du damit, Jadzia, dass du dich aufopferst?, fragte sie verwundert. Kannst du Dominika nicht einfach liebhaben? Grażynka richtete die Streunerhunde nicht ab und bestrafte die halbwilden Katzen nicht, die bei ihr über Tische und Sofas sprangen und es sich im atlasseidenen Himmelbett gemütlich machten, und ihre Kinder wollte sie nach niemandes Ebenbild formen, weil sie sie von Anfang an als eigenständige Wesen betrachtet hatte, die nur auf eine befristete Zeit ihrer Obhut anvertraut waren. Die Jahre vergingen, und die Töchter gingen immer öfter ihre eigenen Wege, ohne Wunden zu hinterlassen; es verschlug sie an gute und weniger gute Orte, aber nie konnten sie sagen: Das ist deine Schuld, Mama, und auch nie: Das verdanken wir dir, Mama. Auf wundersame Weise – um die manche Mutter Grażynka beneidete – wuchsen alle drei zu Frauen heran, die überzeugt waren, am richtigen Ort zu sein, wo sie körperlich und geistig ganz sie selbst waren. Grażynka selbst konnte manchmal sogar kurzfristig vergessen, dass sie Mutter dreier Mädchen gewesen war, die weder ihr noch einander glichen, denn das Muttersein hatte nur eine Ecke ihres Herzens belegt. Sie kritisierte nie die Entscheidungen ihrer Töchter und nahm das, was ihnen geschah, ohne Erstaunen hin, als hätte sie immer gewusst, dass es genau so und nicht anders sein würde. Die älteste, Róża, hatte sich von klein auf für Schminke und Lidschatten interessiert und wurde Kosmetikerin in München. Aniela, die Sammlerin von Rezepten für Süßspeisen, machte in Gelnhausen in Hessen eine Konditorei auf; ihre Gartenpartys waren in der ganzen Gegend für ihren Apfelkuchen mit fetter Schlagsahne darauf berühmt, und Hawa ging aufs Sportgymnasium und hatte ihre ersten Erfolge als Gewichtheberin auf internationalen Wettkämpfen. Einmal kam sie sogar im Fernsehen, und das ganze Dorf Mehrholtz redete davon, schaut euch das mal an, da macht doch die Tochter dieser Hergelaufenen, dieser Polin Karriere als Sportlerin, wäre interessant zu wissen, wie viel die für so einen Auftritt bekommt. Grażynkas jüngstes Kind war ihr Sohn Daniel, der von Hans war, was angesichts der unbestreitbaren Ähnlichkeit keinem Zweifel unterlag. Daniel war ein stilles, ernstes und ruhiges Kind; in dem
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