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Wolkenfern (German Edition)

Wolkenfern (German Edition)

Titel: Wolkenfern (German Edition)
Autoren: Joanna Bator
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Alter müsse eine Frau die Haare kurzgeschnitten tragen, sich dezent kleiden und einen anständigen Hund halten, der einen Fremden verbellt, bevor er ihn sieht. Aber Grażynka? Frau Korn seufzt, Frau Zorn seufzt. Bei der Frau von ihrem Hans, da fällt man über die zugelaufenen Streuner, und die krumm- und schiefbeinigen Promenadenmischungen winseln sich jedem um die Beine. Ein Hund gehört abgerichtet! Und Katzen hat sie, die lassen sich schon nicht mehr zählen! Katzen kann man nicht abrichten, da sind sich Frau Zorn und Frau Korn einig, aber wenn man ihnen kein Futter gibt, dann werden sie schon jagen, um nicht zu verhungern. Grażynkas Nachbarinnen rechnen gern, und sie rechnen damit, dass die Beziehung von ihrem Hans mit der Polin den Winter nicht überdauern wird, bis zum Herbst Geschichte sein wird. Die werden auf Dauer nicht miteinander auskommen, liebe Frau Korn. Er wird sie wegjagen, liebe Frau Zorn, in den Osten zurück, samt ihren Bankerten und verkrüppelten Kötern. Wer hatte denn so etwas je gesehen? Sie jedenfalls nicht, weder Frau Korn noch Frau Zorn, und voreinander tun sie so, als mache es ihnen nicht das geringste Vergnügen, etwas zu sehen, was ihnen ungewohnt ist; sie pressen sich die Nasen an der Fensterscheibe platt, und wenn sie könnten, würden sie sich so direkt an Grażynka pressen. Also wirklich! Heute Morgen zum Beispiel geht Grażynka in den Stall und ist gekleidet wie zum Tanz, Rüschen, Pünktchen, der Hintern halbnackt.
    Frau Korn kann das beschwören, sie hat es mit eigenen Augen gesehen, als sie zu der neuen Nachbarin gegangen ist, um sich den Rasenmäher zu leihen, das war kurz nachdem Hans sich diese unmögliche Frau, die nicht wie eine Ehefrau aussah, aus Polen mitgebracht hatte, und deshalb konnte Frau Korn beschwören, dass sie es selbst gesehen hatte. Frau Korn ist sehr erfahren darin, rasche Blicke zu werfen, die präzise und fast lautlos wie Golfbälle an die richtigen Stellen fallen. Danach bespricht und vergleicht sie mit Frau Zorn die Treffer, die sie beide gelandet haben. Wenn es keine neuen Treffer gibt, erinnern sie sich an frühere und geben ihnen neues Aroma, lassen sich die Triumphe auf der Zunge zergehen und saugen die Süße heraus. Frau Korn also hatte einen Blick in Richtung des Schweinestalls von Hans Kalthöffer geworfen, ein Schweinestall, der moderner als alle anderen in der Gegend war, und bei diesem Blickewerfen hatte sie im erleuchteten Viereck der Tür eine Art Tanzbewegung erspäht, die wahrhaftig nicht dorthin gehörte, denn ein Schweinestall ist ja kein Tanzsaal, zum Teufel! Es kam selten vor, dass Frau Korn ein zweites Mal hingucken musste, wenn sie einen Blick geworfen hatte, aber diesmal sah sie tatsächlich erst beim zweiten Hingucken, dass Grażynka dort wahrhaftig tanzte. Sie hörte keine Musik, nur das Grunzen der Schweine, die im Takt der Bewegungen des eng von einem rotweißgepunkteten Stoff umspannten Hintern der Polin die Macarena grunzten.
    Die tanzwütige Grażynka hatte ihrem Mann Hans erklärt, dass Schweine besser gediehen und glücklicher waren, wenn sie Musik hörten, er solle sich doch nur mal ihre grinsenden Rüssel und ihre fröhlich wackelnden Ohren angucken. Es sei ja auch wichtig, dass man glücklich ist, wenn man bald unters Messer kommt. Das Schweineleben unterscheide sich ja nicht so sehr vom Menschenleben, und außerdem brauche jedes Lebewesen Tanz und Musik, sogar die Blumen, denen Grażynka beim Gießen immer etwas vorsang. Am Anfang hatte Hans Angst, von all diesem Getanze und Durcheinander würde nichts mehr rechtzeitig erledigt, alles, was er geplant hatte, würde ins Wasser fallen, und sämtliche Pflichten und Termine würden vertanzt. Doch trotz der Unordnung und der unregelmäßigen Fütterzeiten gediehen seine Schweine besser als die der Nachbarn, und das hieß mehr Geld, und Geld hieß mehr Dinge, mit denen Hans Grażynka glücklich machen wollte. Anfangs kaufte er ihr all das, wovon er annahm, dass es Frauen glücklich machen würde: seidene Halstücher, Parfüms, Ohrringe, Kettchen, Mohairpullover, Schmuckkästchen, verzierte Fotorahmen, Seidenwäsche in feinen Schachteln mit Schleife. Er kaufte Küchengeräte und schwere Eichenmöbel, je mehr Möbel, desto besser: Kaffeetischchen und Nachtschränkchen, Regale für Nippes, Raffgardinen und elektrische Vielzweckmaschinen, goldfarbene Säulen, die aussahen wie echt und auf denen man Topfpflanzen abstellen konnte, oder eine Stereoanlage oder eine hübsche Replik
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