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Wolkenfern (German Edition)

Wolkenfern (German Edition)

Titel: Wolkenfern (German Edition)
Autoren: Joanna Bator
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genug – Krysia Śledź hatte den alten Śledź, Iwona und Pati zu sich nach Deutschland geholt, denn es war ihr gelungen, eine Reinigungsfirma namens Polnische Putzperle zu gründen, und sie beschäftigte nun zwanzig Personen; ach, wenn sie so eine Einladung von der Śledź bekommen könnte, um ein bisschen Kohle zu machen, seufzen die Frauen. Die Lepka hatte nun Nachricht vom Tod ihres Sohnes Zbyszek erhalten, wollte es aber nicht wahrhaben und stand immer noch auf dem Balkon und blickte nach Süden, während Lepki – welche Überraschung! – auf seinen Handelsreisen eine Frau kennengelernt hatte, die Besitzerin eines Lädchens mit Modeartikeln aus Kamieńsk. Er hatte für sie seine Angetraute verlassen, die sicher daran zerbrochen wäre, wenn sie nicht vorher schon an einem größeren Unglück zerbrochen wäre. Jeremiasz Mucha hatte ein Zimmer an den in Zagórze aus dem Wasser gefischten Studenten vom Wałbrzycher Polytechnikum vermietet, wie sich herausstellte, war der Junge namens Oskar Zięba musikalisch und konnte seinen Vermieter auf dem Keyboard zu alten Schlagern begleiten. Sie gründeten die Gruppe Zięba & Mucha und wurden ein beliebtes Duo auf Hochzeiten der Umgegend, einmal kam sogar eine Reporterin aus Warschau, sie machte ein Interview mit ihnen, und sie kamen in die Zeitung, mit Fotos. Auf Piaskowa Góra nannte man sie nicht mehr Homodingsbums, sondern Schwule, neue Zeiten waren angebrochen. Heilige Muttergottes, wunderte sich Jadzia, denn die vom Hochwasser unterspülten Gehsteige waren durch elegantes Verbundpflaster ersetzt worden; es ging das Gerücht, die Japaner wollten in der Nähe Unternehmen aufmachen, es würde jede Menge Arbeit geben, und damit käme neues Leben in die Stadt, die in apathischer Verzweiflung erstarrte. Jadzias aufgekeimte Sehnsucht nach etwas anderem, das weit, weit weg war, wuchs und nahm schließlich Gestalt an; frisch gewagt ist halb gewonnen, sie würde auf diese Insel fahren, deren Namen sie dauernd verdrehte. Wenn Piaskowa Góra sich verändern konnte, dann konnte sie, Jadzia Chmura, das schon erst recht.
    Sie bestand allerdings darauf, nicht mit dem Flugzeug zu fliegen, was nicht geht, das geht nicht, alles hat seine Grenzen, und Dominika sagte, in Ordnung, Mama, wir fliegen nicht. Sie packten alle nötigen und viele unnötige Dinge ein, die Jadzia für unentbehrlich hielt, beispielsweise diese beiden kristallenen Obstschalen, die konnte sie nicht einfach zurücklassen, das waren ideale Geschenke; polnische Kristallwaren wurden doch überall geschätzt, und mit leeren Händen zu kommen gehörte sich nicht, da war Jadzia ganz sicher, und sie packte die Schalen in Handtücher gewickelt in den großen Rollkoffer. Warte, bat Dominika, bevor sie die Tür zur Wohnung auf Piaskowa Góra hinter sich zuschlugen und in die weite Welt aufbrachen, und sie fotografierte Jadzia vor der Schrankwand. Zum ersten Mal war Jadzia auf einem Foto ihrer Tochter ganz abgebildet und sah ihrem neuen, reiselustigen und weltgewandten Ich sogar einigermaßen ähnlich. Und jetzt aber los! Völlig spinnert-spleenig ist das, sich so auf seine alten Tage noch in die weite Welt zu stürzen, seufzte Pani Chmura mit gespielter Ängstlichkeit auf Schritt und Tritt, sah dabei aber aus, als sei sie äußerst zufrieden mit sich selbst, und ihre stachelbeerfarbenen Augen leuchteten in jugendlichem Glanz. Sie fuhren mit dem Auto, Zug und Bus und mit der Fähre, die Jadzia mit ihrem aufgerissenen, lärmend Lastwagen verschlingenden Schlund einen Schrecken einjagte, wie kann dieses schwere Riesending sich denn über Wasser halten? Auf der Seereise von Piräus nach Karpathos, nach rund zwanzig Stunden Geschaukel im ewigen Blau zwischen Himmel und Meer, verlor Jadzia ihre Angst, sie könnten untergehen, sich verfahren und von einer in ihren Augen verdächtig aussehenden Gruppe griechischer Roma ausgeraubt werden. Sie sog die mit dem Geruch nach Sonne und Wasser getränkte Luft tief in ihre Lungen ein, lockerte den Griff um die an den Bauch gepresste Handtasche, putzte ihre salzverkrusteten Brillengläser und blickte über die Reling zum Horizont, an dem sich ein grauer Küstenstreifen abzeichnete; weißt du was, mein Kind, sagte Mutter Chmura, das sieht alles gar nicht schlecht aus, und das Klima scheint auch ganz gut zu sein.
    Und so denkt sie immer noch, als sie bis zur Brust im Wasser steht und zusieht, wie ihre Tochter mit einem um die Wade geschnallten Messer taucht und unter der Wasseroberfläche
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