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Wolkenfern (German Edition)

Wolkenfern (German Edition)

Titel: Wolkenfern (German Edition)
Autoren: Joanna Bator
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seinem kleinen roten Fischerboot säubert, und erklärt Jadzia von Zeit zu Zeit in einem Gemisch aus Griechisch, Deutsch und Englisch, so ein Boot nennt sich varka ; und Jadzia am Ufer spricht ihm nach, varka , varka , und antwortet auf Polnisch, o heilige Muttergottes, in so einer Nussschale, so einer varka aufs Meer hinauszufahren, dazu braucht es Mut, Herr Manolis. Fische fangen, Herr Manolis, das verstehe ich noch, aber diese kleinen rosa Würmchen, pfui, die brächte ich nicht über die Lippen. Heilige Muttergottes, die lassen sich doch weder richtig fassen noch auf die Gabel spießen. Sie sollten sich besser um Ihr Haus kümmern, vielleicht zwei Zimmer herrichten, an Touristen vermieten, rät die praktische Jadzia Kapitän Manolis, Ihr Garten ist völlig verdorrt, das tut einem ja in der Seele weh. Ich, Herr Manolis, hatte einmal einen wunderschönen Garten, was war das für ein Garten, so einen kriegen Sie nicht einmal hier zu sehen. Manolis betrachtet dann Jadzias schmale Knöchel in den Ledersandalen und nickt mit dem Kopf. Jadzia hat abgenommen, und Dominika hat ihr die strohig gebleichten Haarsträhnen abgeschnitten; plötzlich zeigte sich, dass die so lange zum Leben im Untergrund verurteilten mausfarbenen Haare nachgedunkelt waren, und mit einem Mal kommt die bislang kaum wahrnehmbare Ähnlichkeit zwischen Mutter und Tochter zum Vorschein. Als Kapitän Manolis sagt, er habe niemanden mehr auf der Welt, Eltern, Sohn, Ehefrau seien gestorben, antwortet Jadzia unter Verwendung einiger deutscher und englischer Ausdrücke und vieler dramatischer Gesten, auch sie habe keine Eltern und keinen Mann mehr, sei aber dafür im Besitz einiger Verwandten in Amerika; Manolis versteht, dass Jadzia ihnen Briefe schreibt und dass sie vielleicht zu Besuch nach Diafani kommen. Ruth, David, Joshua, spricht er ihr nach; ja, ja, freut sich Jadzia, Ruth, David, Joshua. Als Manolis fragt, ob Jadzia am Morgen zum Anlegesteg komme, nickt Dominikas Mutter, né , antwortet sie auf Griechisch, und Kapitän Manolis wiederholt mit einem Lächeln, né , né .
    Jadzia Chmura wickelt sich aus dem Handtuch, rückt die Träger ihres Badeanzugs zurecht und taucht ins Meer ein; sie steht ein kleines Stück von den alten Griechinnen entfernt im Wasser, und als Foula ihr zunickt, sagt sie kalispera !, wie Dominika und Dimitri es ihr beigebracht haben, und die alten Frauen aus Diafani lächeln und antworten, kalispera ! kalispera ! kalispera ! Das Sonnenlicht tanzt um die ins Meer eingetauchten Frauen, die Spiegelbilder der Wolken im Wasser tanzen, die Wellen tragen das Lachen der Frauen davon, und von weitem könnte man denken, sie seien Sirenen, Sirenen mit süßtönenden Stimmen, von denen Wacław Pająk aus Kamieńsk und so viele vor ihm und nach ihm träumten, denn sie sangen weder von Liebe noch von Macht, sondern lockten nur mit ihren Geschichten und verwirrten die Sinne und zeigten damit, dass man nichts braucht als das Meer, eine Wolke, die Weite, und schon geht es, schon fließt es.
    Dominika hatte lange auf ihre Mutter einreden müssen, bis diese endlich nach Karpathos kam. Sie könne bleiben, so lange sie wollte, und wenn es ihr nicht gefiel, dann würde sie eben wieder nach Piaskowa Góra verfrachtet. Erst nach dem großen Hochwasser hatte Jadzia Mut gefasst, denn als Überlebende einer Sintflut wurde ihr bewusst, dass sie nicht mehr dieselbe war; irgendwie bin ich nicht mehr dieselbe, seufzte sie, und es gab Tage, an denen sie die Aussicht auf etwas Neues als angenehm empfand, aber auch solche, an denen Sodbrennen, Hitzewallungen und Schwindel sie plagten. Eines Tages rutschte die fahrige Jadzia auf dem Weg zum Badezimmer aus und brach sich ein Bein. Wochenlang saß sie in dem verhassten Krähennest fest, und ihr einziger Kontakt zur Außenwelt bestand in den täglichen Telefongesprächen mit ihrer Tochter, die ihr verlockende Geschichten über die Reise ins Ohr säuselte, auf die sie sich begeben müsse, sobald ihr der Gips abgenommen werde. Als Jadzia endlich wieder beweglich war, ging sie viel langsamer, um das immer noch schmerzende Bein zu schonen, und bemerkte mit Erstaunen die Veränderungen, die auf Piaskowa Góra vor sich gegangen waren. Während sie mit ihrem Gipsbein im Krähennest festsaß, hatte man angefangen, die Blocks in fröhlichen Farben anzustreichen; auf den Gerüsten wimmelte es von Arbeitern, die so mit papageienbunter Farbe um sich klecksten, dass sogar etliche Passanten bunt erglänzten. Doch damit nicht
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