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Wolkenfern (German Edition)

Wolkenfern (German Edition)

Titel: Wolkenfern (German Edition)
Autoren: Joanna Bator
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mit separatem Eingang unterzuvermieten? Die Arche Noah, lächelte die Bibliothekarin und hätte vielleicht noch mehr gesagt, denn sie war belesen, doch der Skoda wurde von einer neuen Welle nach vorn gestoßen, und sie knallte mit dem Kopf gegen das Fenster. Der Ingenieur legte einen Arm um sie und lenkte den Skoda wie ein Rallyefahrer nur mit der freien Hand durch die Wellen. Sie fahren ja wie ein Rallyefahrer, Herr Ingenieur, tatsächlich, die Bibliothekarin Ola hatte auf dieser Reise eine Beule davongetragen, aber auch Hoffnung geschöpft. Leider reichte ihnen das Wasser schon bis zu den Knien.
    Wenn wir schon untergehen, dann mit Bravour! Singen wir, schlug Herr Ćwiek vor, der Tierarzt, wenn schon untergehen, dann mit einem Lied auf den Lippen, geben Sie den Ton an, Sie sind Künstler, wandte er sich an Jeremiasz, und sie sangen, Auf ihr Falken , Es lebe der Bergarbeiterstand , Ging ein Mädel in den Wald , Es peitscht ein wilder Regen , was besonders gut passte, und zum Schluss Noch ist Polen nicht verloren , denn es gingen ihnen die Ideen aus und das kannte jeder, wenigstens die erste Strophe. Bonaparte war uns Vorbild, grölte es aus neun Kehlen, die Tiere nicht mitgezählt, wie wir zu siegen haben, bis es plötzlich knirschte, schürfte, ruckte und sie auf etwas aufsetzten. Land! Land, Grund, was auch immer, jedenfalls würden sie nicht untergehen, und man sah ein Stück Boden, genauer gesagt Asphalt, als der Mutigste erwies sich Aresik, er stieg aus, schnüffelte, pinkelte, Perełka ihm nach, pinkelte, dann die verschreckten Katzen und der Rest. Wo sind wir? Nichts zu erkennen, warten wir, bis es sich aufhellt! Sie setzten sich auf ein Stück Erdboden, rückten eng zusammen, schmiegten sich aneinander, damit es wärmer war. Also apropos diese Wohnung, begann Jeremiasz Mucha wieder, und der Student hauchte in seine eiskalten Hände; das Zimmer ist separat, aber Bad und Küche werden geteilt. Der Regen ließ nach, und an der einen Seite des Himmels zeigte sich plötzlich ein hellgrüner Lichtstreifen wie ein Riss im Stoff; Licht, Herr Jeremiasz, Licht!, bemerkte Jadzia geistesgegenwärtig. Mehr Licht!, schrie der Ingenieur, denn das schien ihm aus irgendeinem Buch zu sein, und er wollte der Bibliothekarin imponieren; ach, Herr Ingenieur. Wie wunderschön!, sagte der Student ergriffen und der alte Schauspieler blickte ihn nicht weniger ergriffen an; wunderschön, und wenn Sie erst sehen könnten, wie die Sonnenaufgänge und Sonnenuntergänge in Szczawno sind, ein Fest der Seele für einen Ästheten wie Sie. Im dichten Nebel zeichneten sich undeutliche Formen am Horizont ab, Häuser oder Berge; durch den hellgrünen Spalt drang Sonnenlicht wie flüssige Lava, Menschen und Tiere schauten. Heilige Muttergottes, Piaskowa Góra! Jadzia gelang es schließlich, etwas zu erkennen. Piaskowa Góra, wie es leibt und lebt, bestätigte Herr Ćwiek, unsere Heimat, unser Land! Piaskowa Góra! Piaskowa Góra! Das Hochwasser hatte sie auf den Gedymina-Hügel getragen und dort abgesetzt, wo lange vor dem Fall des Kommunismus der Bau einer Straße begonnen und auch in der Demokratie nie zu Ende geführt worden war. Das Stück Asphalt, auf dem der Skoda aufgesetzt hatte, brach auf dem Gipfel des Hügels ab wie eine Startbahn. Vom Gedymina-Hügel aus lag Piaskowa Góra wie auf dem Präsentierteller, und wenn es von irgendwoher hübsch aussah wie auf dem Entwurfsmodell von vor dreißig Jahren, dann von hier. Eine Stadt auf einem Hügel, mit stolz zum Himmel strebenden Türmen, fast wie in der Toskana; darüber ergoss sich das plötzliche Sonnenlicht, wie blankgeputzt. Wunderschön, seufzte Jadzia.
    Das Wasser zog aus Piaskowa Góra ab und nahm Tonnen von Müll aus den Kellern mit, schwemmte altes Spielzeug und einst in nächtlichen Schlangen vor dem Möbelgeschäft erstandene Klappsofas davon, kaputte Skier, unverzehrtes Eingemachtes, Gerätschaften zum Schnapsbrennen, bauchige Glasflaschen voller Johannisbeer- und Kirschwein, ausgetretene, noch auf Bezugsscheine gekaufte Schuhe, ungelesene Bücher, alte Zeitschriftenjahrgänge, Plaketten mit der Aufschrift »Vorarbeiter«, unbenutzte Küchengeräte, für Notfälle aufbewahrte alte Spülbecken, defekte Heizöfen, geborstene Blumentöpfe, verschimmelte Kartoffeln und Zwiebeln; es säuberte die Spielplätze und Blumenbeete, die verdreckten Mülltonnenbereiche, die bespuckten Gehsteige. Auch lebende Geschöpfe, wundersam errettet wie sie, trieben im Wasser, Straßenköter, Feld-,
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