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Wolkenfern (German Edition)

Wolkenfern (German Edition)

Titel: Wolkenfern (German Edition)
Autoren: Joanna Bator
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Wald- und Wiesenkatzen, Mischlinge, ein großer roter, merde ! kreischender Papagei in einem Käfig, ein Frettchen, zwei Hühner, ein ganzer Schwarm Karpfen, ein altes Mütterchen mit Kopftuch, das ein Bild der Muttergottes von Tschenstochau wie einen Schild an die Brust gepresst hielt, und daneben ein junges Ding mit einem Videorekorder in den Armen. Auf der vom Hochwasser herausgerissenen Kirchentür trieb eine Gruppe Schiffbrüchiger vorüber, in denen Jadzia ihre Bekannten von der Pilgerfahrt nach Tschenstochau wiedererkannte. Ahoi!, rief ihnen der Mann mit dem Schnauzbart zu, bekreuzigte sich, intonierte Das Land der Väter geben wir nicht her , und verschwand zusammen mit seinen knienden Gefährtinnen in der Ferne. Aus den tieferen Tiefen der Erde, auf der Piaskowa Góra stand, wurden auf einer kohlschwarzen Welle Bücher in gotischer Schrift, verblichene Landschaftsschinken, das ewige Walhallafeuer 4 , ganze Bavaria-Service, Fotos von Herta, Jürgen und Gertrud, Kisten voll von deutscher Munition, deutsche Panzer und Jagdflugzeuge hervorgeschwemmt. Gerippe in SS -Uniformen kraulten in Kampfformation dahinter her, einer blubberte Heil Hitler, bevor ihn das Wasser weiterriss; in einem wie neu glänzenden schwarzen Auto aus früheren Zeiten schaukelte ein Mann mit Bärtchen vorbei. Vielleicht träume ich das alles, dachte Jadzia, und plötzlich durchfuhr sie ein Gedankenblitz.
    Wissen Sie was, Herr Jeremiasz, das ist vielleicht nicht der beste Moment, aber mir ist wegen dieses Schocks ein Gedankenblitz gekommen, und ich habe mich an den Icek Kac erinnert, von dem Sie sagten, dass er nach dem Krieg Grażynka gesucht habe. Meine Dominika hat in New York bei einer alten Dame gearbeitet, Eulalia Barron, die jetzt nicht mehr lebt, ich habe Ihnen davon erzählt, sie hat ihr Bücher vorgelesen, sehr viel hat sie ihr vorgelesen. Eine kluge Frau war das, Herr Jeremiasz, und wie viel sie durchgemacht hatte, diese Tante Eulalia. Und jetzt, Herr Jeremiasz, hoffentlich kommt mir nichts durcheinander, diese Eulalia, die von Krakau aus, stellen Sie sich das vor, im Krieg über Japan vor den Nazis geflohen ist, die kannte einen Icek Kac. Ich bin mir so sicher, ich könnte es schwören, Icek Kac hat er geheißen und nicht anders. Sie hatten sich in einem Museum in New York beim Erinnern getroffen, denn beide wühlten sie gern in der Vergangenheit, wie meine Dominika, und wie war das dann, ach ja, dieser Icek Kac hatte Tante Eulalia einen Nachttopf von Napoleon vererbt, bevor er sich umbrachte. Denn er hat sich umgebracht, Herr Jeremiasz, angeblich aus Trauer und Hoffnungslosigkeit. Und Eulalia Barron hat diesen Nachttopf von Icek Dominika hinterlassen, und ehrlich gesagt hätte ich gedacht, dass er etwas mehr wert gewesen wäre, Herr Jeremiasz. Ich habe Dominika gesagt, gib her, ich scheuere ihn blank, poliere ihn auf, wir bringen ihn ins Antiquariat, aber nein, nach Amerika musste sie ihn mitnehmen. Aber was wollte ich sagen, ach ja, ich weiß es wieder, Icek Kac. Herr Jeremiasz, glauben Sie, der Icek Kac mit Napoleons Nachttopf ist derselbe Icek Kac, der Sie damals nach Grażynka gefragt hat?

XII
    In Diafani auf der Insel Karpathos gibt es eine Tageszeit, nach der sich Maria Angelopoulos dreißig Jahre lang gesehnt hat; die Sonne bleibt dann genau über den Berggipfeln stehen, als wäre sie an ihnen hängengeblieben, bricht auf und ergießt sich in flüssigem Gold. Kaskaden von Licht fließen die nackten, von Wolken umwobenen Bergspitzen herab, durch betäubend duftende Kiefernwälder, durch dorniges, im Frühling gelb und violett blühendes Dickicht, zwischen den Beinen reglos verharrender Ziegen hindurch und weiter herab, über Pfade, die Tiere und Menschen im Laufe der Jahrhunderte ausgetreten haben, durch Gärten mit reifenden Melonen, die so groß sind, dass ein Kind sich in ihrer Schale verstecken könnte, und erreichen den kleinen Hafen. Die weiche Welle schlägt gegen die Wände der alten weißen Häuser, ergießt sich durch die soeben geöffneten Fensterläden in das stille dunkle Innere, fließt über weiße Treppenstufen, weiß wie Knochen, wie die Füße der Muttergottes am Sonntag, wie im Wind trocknende Laken; weiter gleitet das goldene Sonnenlicht zum Wasser hin, zerrinnt weich auf der Oberfläche und versinkt nicht.
    Das ist die Tageszeit, an der in Diafani die alten Frauen ihr Bad nehmen; langsam gehen sie ins Wasser und tauchen ein bis zur Brust, nur manche haben Badeanzüge, die anderen gehen in Hemden und
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