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Wolke 8...

Wolke 8...

Titel: Wolke 8...
Autoren: Monika Kunze
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dort bleiben. Im Krankenhaus.
    Zuhause konnte ich mich lange nicht beruhigen, doch dann schöpfte ich endlich wieder Hoffnung. Jetzt werden sie ihn gründlich untersuchen und ihm bestimmt helfen können, dachte ich.
    Sie untersuchten ihn auch oft, lange und gründlich, aber zu einem Ergebnis kam vorerst keiner.
    Es begann vielmehr eine Odyssee, mit der niemand gerechnet hatte: Kaum war mein Mann aus dem einen Krankenhaus entlassen, da lag er auch schon im nächsten. Die Städte und die Krankenhäuser wurden immer größer.
    Eine richtige Diagnose? Nein, die gab es nicht. Lange nicht, immer wieder wurden andere Vermutungen geäußert. Verschiedene nuklearmedizinische Untersuchungen in der Berliner Charité sollten endlich Klarheit bringen. Gelbsucht? Leberkrebs? Entzündung der Bauchspeicheldrüse?
    Keine der anfänglichen Vermutungen bestätigt sich. Doch dann kristallisiert es sich immer deutlicher heraus: Die linke Herzkammer verweigerte ihren Dienst, die inneren Organe wurden nicht mehr mit frischem Blut versorgt, sie schwollen an. In der Lunge stand schon das Wasser.
    Mein Glaube an die Götter in Weiß war erschüttert. Ich litt unsäglich mit meinem Mann. Als Physiotherapeutin verfüge ich über ein gewisses Maß an medizinischem Wissen, konnte also die Hiobsbotschaften einordnen und werten.
    In jenen Wochen spürte ich, wie die Angst in mir immer übermächtiger wurde, oft nahm sie mir die Luft zum Atmen, ich fühlte mich dann wie gelähmt.
    Mit meinem Roland schien es zu Ende zu gehen. Wir schrieben das Jahr 1990. Da ging es auch mit unserem Land, der DDR, zu Ende.
    Mein einst vor Gesundheit strotzender Mann war nur noch ein Schatten seiner selbst, die Augen lagen tief, aschfahl spannte sich die Haut über die Knochen.
    Eine Herzkatheter-Untersuchung müsste erfolgen, hinter vorgehaltener Hand sprach man sogar schon von Transplantation. Aber wo und wie?
    Zu dieser Zeit herrschte Aufbruchsstimmung in unserem Land, voller Hoffnung, voller Drang nach Freiheit. So empfanden es wohl die meisten. In unserer Situation war dieser Aufbruch mehr als fatal, denn leider nahmen auch viele Ärzte und Schwestern Reißaus. In Scharen verließen sie ihren Arbeitsplatz und ihre Patienten.
    Ich war verzweifelt!
    Im Klinikum Cottbus hatte man mir gesagt, dass mein Mann nur noch in der Berliner Charité eine Chance hätte, ein neues Herz zu bekommen.
    Doch wie groß war mein Entsetzen, als ich bei meiner telefonischen Nachfrage die lapidare Auskunft erhielt: „Es sind ja so viele von uns weg - wir können wirklich nicht mehr helfen, tut uns leid!“
    Das konnte doch alles nicht wahr sein! Ich musste dort hin, die Ärzte überzeugen. Ich fuhr also nach Berlin, wollte in der Charité persönlich um Hilfe bitten, aber als ich ankam, war die ganze Abteilung geschlossen. Die Ärzte hatten lukrativere Arbeitsplätze jenseits der Elbe gefunden. Ich musste all meine Kraft aufbieten, um nicht meine gute Erziehung zu vergessen und laut zu schreien.
    Doch in einem Punkt war ich froh und fast dankbar: Mein Mann bekam von all dem nichts mehr mit. Er lag in einem anderen Krankenhaus und dämmerte vor sich hin.
    Die Ärzte hatten mir dringend geraten, jede Aufregung von ihm fernzuhalten.
    Mir drehte sich das Herz im Leibe um, wenn ich ihn so daliegen sah. So apathisch.
    Ob er wohl fühlte, wie nahe er seinem Ende war?
    Er war einfach schon zu schwach, um sich gegen irgendetwas aufzulehnen.
     
    Eines Tages geschah es, dass mir jemand eine bekannte Boulevardzeitung zusteckte, in der ein Beitrag mit rotem Filzstift umrandet war: Professor Dr. St., las ich mit klopfendem Herzen, hatte einem jungen Mann aus Jena ein neues Herz implantiert, ihm so das Leben gerettet. Im August 1990? Also schon
vor
der Vereinigung Deutschlands?
    Ich konnte das kaum glauben, war ganz benommen. Doch ich musste mich zusammennehmen, vielleicht gab es ja doch noch Hoffnung für meinen Roland? Ich beschloss, nach dem rettenden Strohhalm zu greifen. Ich liebte meinen Mann über alles, er durfte nicht sterben!
    Von einer Sekunde zur anderen entschied ich mich: Ich musste sofort Kontakt zu diesem Professor aufnehmen, koste es, was es wolle! Ich hätte alles dafür gegeben …
    Ich schrieb also einen langen Brief an diesen anscheinend namhaften, mir aber bis dato völlig unbekannten, Herzchirurgen. Ich hieb auf die Tasten meiner alten Schreibmaschine, als hinge Leben und Tod davon ab.
    Und so war es ja auch. Mit jedem getippten Buchstaben wuchs die Hoffnung in mir, dass der
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