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Wolke 8...

Wolke 8...

Titel: Wolke 8...
Autoren: Monika Kunze
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immer besser verstanden, seiner Frau die Angst zu nehmen und ihre Komplexe abzubauen. So waren wir nach einer gewissen Zeit selbst auf diesem Gebiet sehr glücklich. Eigentlich glücklicher als jemals zuvor, wie wir uns schließlich, selbst ganz überrascht, eingestehen mussten.
    Doch dann kam der nächste Angriff auf unser Glück, diese heimtückische Krankheit namens Krebs.
    Und als meine Barbara schließlich immer mehr dahinsiechte, bat sie mich wieder: „Roman, bitte, suche dir jemand anderes dafür, ich bin dir nicht böse.“
    Diese eindringlich ausgesprochene Bitte und ihr anschließender kleiner Hinweis, dass ich ja versuchen könnte, wieder jemanden mit einem Stumpf zu finden, weil wir doch so glücklich gewesen seien, machten mich rasend.
    Wie hätte ich das jemals fertig bringen sollen?
    Ich liebte sie doch – auch mit ihrer Beinprothese. Sie gehörte ja zu ihr – und so gehörte sie mit den Jahren für mich wohl auch zur Liebe.
    Und ich liebte meine Frau auch trotz des Krebses, der ihr Äußeres immer mehr zu zerstören begann. Immer wieder hatte ich versucht, sie – mit aller mir zu Gebote stehenden Vorsicht - mit meiner Zärtlichkeit zu verwöhnen. Bis zum Schluss war ich nicht von ihrer Seite gewichen.
    Ihre letzten Worte bei ihrem endgültigen Abschied waren: „Bitte, Roman, stoße das Leben nicht vor den Kopf, bleibe auf keinen Fall allein!“
    So hatte ich, ihrem Vermächtnis entsprechend, irgendwann doch versucht, das Leben wieder zu genießen. Niemals ging ich ohne Begleitung ins Theater oder in ein Restaurant. Wenn ich es auch schaffte, immer mal wieder eine neue Freundin zu haben, richtig verlieben konnte ich mich nicht mehr.
    Warum auch? Aus meinen zahlreichen zeitweiligen Bekanntschaften sollte sich nichts Ernsthaftes entwickeln. Es war ja nicht Liebe, was ich für die jeweiligen Frauen empfand. Meine einzige Liebe war eben meine Frau gewesen. Im Grunde meines Herzens dachte ich noch immer an Barbara, an unsere leidenschaftlichen Nächte, die es trotz des Stumpfes und der Krankheit für uns beide immer wieder gegeben hatte.
    Jeden ernsthaften Annäherungsversuch ignorierte ich, stürzte mich stattdessen intensiv in meine Arbeit, war froh über jedes neue Projekt.
    Fühlte ich die Grenzen meiner Belastbarkeit, stürzte ich mich mit derselben Intensität in neue Abenteuer mit Frauen. Diese waren meistens viel jünger als ich, schöner auch. Sie verabredeten sich gern mit mir, ohne Hintergedanken an eine baldige Hochzeit. Sie liebten ihre Unabhängigkeit offenbar ebenso wie ich die meine. So reiste ich, wenn mir meine Arbeit Zeit dafür ließ, viel herum. Ich liebte es, mich mehrmals im Jahr in Hotels verwöhnen zu lassen, vom Hotelpersonal ebenso wie von meinen jeweiligen Begleiterinnen.
    Wenn meine Tochter sich darüber ärgerte, dann war das ihr Problem, nicht meines. Trotzdem hatte ich mir vorgenommen, demnächst mit Susanne ganz ernsthaft zu sprechen, sie etwas mehr an meinen Gedanken und Gefühlen, an meinem Leben, teilhaben zu lassen. Vielleicht würden wir uns dann wieder besser verstehen?
     
    Zwischen zwei Bissen sah ich nun wieder hinüber zu der fremden – und doch irgendwie so vertrauten Person. Sie war wirklich etwas ganz Besonderes. Ihr Anblick versetzte mir einen Stich in der Herzgegend, der mir wiederum die Röte ins Gesicht schießen ließ. Inmitten ihrer beiden Nasalfältchen prangte ein Mund, der von besseren Zeiten zu erzählen schien. Die Lippen waren zwar voll, mit klar ausgeprägten Konturen, aber nicht von jener Wulstigkeit, die sich junge Frauen heutzutage manchmal künstlich einspritzen ließen.
    Was mich am meisten faszinierte, war das leichte Kräuseln der Oberlippe vor ihrem eigentlichen Lächeln, das dann für einen Moment den Blick auf eine Reihe etwas unregelmäßiger Zähne freigab. Ach, hätte sie mir doch noch einmal ihren leicht überstehenden linken Schneidezahn gezeigt!
    Und überhaupt: Ich war hingerissen von der geraden Haltung ihres Kopfes auf einem langen Hals, von ihrem vollen Haar, das schlicht zurückgekämmt und im leicht geschwungenen Nacken von einem jadegrünen Seidentüchlein zusammengehalten wurde.
    All das weckte in mir so starke Gefühle, die ich eigentlich nie wieder zulassen wollte. Und eines spürte ich ganz genau: Es waren nicht diese üblichen Begehrlichkeiten, die Mann und Frau manchmal in einen Blick über den Rand eines Weinglases legen, um sie Stunden später schon in einem Hotelbett auszuleben - und gleich darauf wieder zu
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