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Wolfstage (German Edition)

Wolfstage (German Edition)

Titel: Wolfstage (German Edition)
Autoren: Manuela Kuck
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danebengehen, überlegte Robin. Das
beantwortete aber nicht die Frage, woher das Geräusch kam. Er machte zwei
Schritte, bevor er Stimmen hörte. Der Schreck fuhr ihm so in die Glieder, dass
er sich später fragen würde, woher er eigentlich gewusst hatte, wie sinnvoll es
war, in dieser Situation Angst zu empfinden.
    Es war zu spät, um noch zur Tür hinaus nach oben zu entkommen. Robin
drückte den Docht der Kerze zwischen Daumen und Zeigefinger zusammen, blickte
sich gehetzt um, lief dann auf Zehenspitzen zu den an der Seite aufgetürmten
alten Möbeln und verkroch sich unter einem Tisch, während er betete, dass sie
die klapprige Leiter im Flur übersahen. Es gelang ihm gerade noch, ein morsches
Holzbrett als Schutzschild vor seinen Körper zu schieben, als die Männer den
Raum betraten. Drei waren es. Einer von ihnen war der Anführer – Robin
erkannte ihn an seiner Stimme.
    »Welcher Idiot hat die Tür aufgelassen?«
    Robin konnte deutlich hören, dass er schnüffelnd einatmete.
    »Außerdem stinkt es hier.«
    »Hier stinkt es immer«, antwortete ein anderer.
    Robin hielt die Luft an: die Kerze.
    »Nun gut. Das soll uns jetzt nicht weiter beschäftigen. Macht ein paar
von den Petroleumlampen an.« Und einen Augenblick später: »Ihr wisst, worum es
geht?«
    Niemand antwortete.
    »Natürlich wisst ihr das.«
    Da bin ich ja mal gespannt, dachte Robin und versuchte, sein mulmiges
Gefühl zu verdrängen. Der Tonfall des Anführers klang nicht nach
Pfadfinderspielen.
    »Hilf mir mal«, erklang dann erneut die Stimme des Anführers, und
sofort waren Schritte zu hören, dann ein Schaben, als würden Möbel gerückt, und
angestrengtes Seufzen.
    »Holt eure Armbrüste.«
    Robin entspannte seine verkrampften Schultern. Wer zuerst dreimal
den Innenring trifft, gewinnt einen Sixpack oder ein Würstchen, dachte er und
hätte beinahe gekichert. Mit einer Hand schob er das Brett behutsam ein Stück
zur Seite und linste um die Ecke. Was er im dämmerigen Licht erkennen konnte,
ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren.
    Die Zielscheibe war beiseite gerückt. Vor der Wand aus Spanplatten
stand jemand. Eine Gestalt. Eine Frau. Mit gefesselten Händen und Füßen und
verbundenen Augen, einen Knebel im Mund. Starr und steif. Eine
Schaufensterpuppe, schlug Robins innere Stimme vor. Eine sehr zittrige Stimme.
Aber seit wann stöhnten Schaufensterpuppen? Der Anführer stand neben ihr und
hielt sie an einem Arm fest.
    »Sie ist eine Feindin und Verräterin, die nicht zur Einsicht kommen
will, wie wir inzwischen wissen«, sagte er mit leiser, eindringlicher Stimme.
»Ihr wisst, was zu tun ist.« Er trat zurück.
    »Und ob«, flüsterte einer der beiden anderen. »Die Schlampe hat es
nicht anders verdient.«
    Die beiden legten Pfeile in ihre Armbrüste und spannten sie. Robin
zog den Kopf zurück und presste beide Fäuste vor den Mund. Die Spanplatte,
trommelte eine hysterische Stimme in ihm, na klar, sie schießen auf die
Spanplatte: Es ist ein Spiel, eine Drohung vielleicht, eine Mutprobe. Natürlich –
was denn sonst? Alles andere wäre ja …
    Plötzlich lag ein Sirren in der Luft, und den Bruchteil einer
Sekunde später polterte etwas.
    Als Robin sich wieder vorbeugte, sah er die Gestalt am Boden liegen –
von zwei Pfeilen durchbohrt. Einer steckte im Hals, der andere in der Brust.
    Sie schleiften die Leiche nach draußen. Durchs trübe
Fenster konnte Robin erkennen, dass sie neben den Gleisen ein Grab ausgehoben
hatten. Geschickt legten sie anschließend Moos und Grasstücke darüber,
trampelten es fest, und niemand würde je ahnen, dass sich eine tote Frau
darunter verbarg. Einer der Männer zupfte die Moosdecke fast zärtlich zurecht.
    Als sie aufgeräumt hatten und verschwunden waren, verließ Robin das
Haus. Er nahm sein gesamtes Depot mit und hatte schon gut hundert Meter
zwischen sich und das Haus gelegt, als er noch einmal umkehrte und einen Pfeil
aus der Abstellkammer holte. Warum, wusste er nicht.

2
    »Kennen Sie eigentlich Wiebor? Lennart Wiebor?«
    Magdalena Grimich hielt sich nicht mit langen Vorreden auf. Das war
nicht ihre Art. Sie hatte einmal angeklopft und war, ohne eine entsprechende
Aufforderung abzuwarten, in das Büro von Johanna Krass getreten. Nun stand sie
mit verschränkten Armen mitten im Raum, als gehörte er ihr.
    »Ich hoffe, ich störe nicht«, fügte die BKA -Abteilungsleiterin
nach einer winzigen Pause hinzu und verzog den Mund, was nur entfernt an ein
Lächeln erinnerte.
    Kommissarin Johanna
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