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Wolfskuesse - Mein Leben unter Woelfen

Wolfskuesse - Mein Leben unter Woelfen

Titel: Wolfskuesse - Mein Leben unter Woelfen
Autoren: Elli H. Radinger
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auch, warum wir vor Beginn des Praktikums eine Haftungsbefreiung unterschreiben mussten.
    Der Höhepunkt unseres Praktikantenlebens war das samstägliche Großreinemachen, wenn wir zum Häufchen-Sammeln in die Gehege durften. Alle rissen sich um diesen Job, denn als Belohnung winkte die Begegnung mit den Wölfen. Stets in Begleitung von zwei erfahrenen Helfern packten wir unsere Eimer und Zangen und wappneten uns für das stürmische Zusammentreffen. Aufregung auf beiden Seiten. Die Wölfe winselten am Zaun. Sprangen umeinander und übereinander, sobald wir das Gehege betraten. Jeder suchte die beste Position möglichst nah an unseren Händen. Zungen flogen über Nasen. Zähne knabberten an Kinn und Lippen. Mit dieser Form von Begrüßung fordern die Wolfswelpen von heimkehrenden Eltern ihr Futter ein, das diese hervorwürgen. Wir konnten ihnen Derartiges nicht bieten, dafür aber jede Menge Streicheleinheiten. Nie reichten die Hände aus, um alle Ohren und Bäuche zu versorgen, die es zu kraulen galt. Erst wenn diese ausgiebige Begrüßung vorbei war und sich die Aufregung gelegt hatte, konnten wir mit der eigentlichen Arbeit beginnen.
    Schon nach kurzer Zeit hatte ich meine »Lieblingsküsser« gefunden, die fünf grauen Wölfe des »East Pack«. Sie gehörten |31| nicht zum Forschungsprojekt und lebten in einem separaten Gehege im östlichen Teil von Wolf Park. Sirgei und die fast weiße Betsi waren die Eltern von Chani, Sierra und NK. Während Chani und Sierra sehr sanfte und zurückhaltende Wölfinnen waren, musste man bei NK stets auf der Hut sein, um von dem stürmischen einjährigen Jungwolf nicht umgeworfen zu werden. Zum Küssen »geeignet« waren nur die Jungwölfe, die Eltern mussten in der Zeit, in der wir Praktikanten ins Gehege kamen, weggesperrt werden. Auch NK durfte später wegen seiner Rüpelhaftigkeit keine Besucher mehr empfangen.
    Von einem Wolf geküsst zu werden ist schon eine besondere Sache. Um es gleich vorweg zu beantworten – nein, Wölfe haben keinen Mundgeruch. Erstaunlicherweise riechen sie völlig neutral aus dem Maul, selbst nach einer ausgiebigen Mahlzeit.
    Doch nicht jeder der Praktikanten ließ sich so begeistert abschlecken wie ich. Manche wehrten die Wölfe ab und beschränkten sich auf das Streicheln. Aber ich wollte partout das volle Programm. Eng wurde es nur, wenn sich die stürmischen Jungwölfe zur Begrüßung drängelten. Jeder wollte der Erste sein. Dann konnte es geschehen, dass ich mich mitten in einer Gruppe von drei sich anknurrenden, zähnefletschenden Wölfen wiederfand. Kein guter Platz für eine noch unerfahrene Praktikantin wie mich, zumal ich von Natur aus jedem Streit aus dem Weg gehe. Aber ein energisches »Nein! Jetzt reicht’s!«, ein gewagter Sprung aus der Menge und gnadenloses Ignorieren für die nächsten fünf Minuten half, die Situation zu entschärfen. Wenn der Familienfrieden wieder hergestellt war, gab es weitere Streicheleinheiten zur Belohnung.
    Bei solchen stürmischen Begegnungen war es mir manchmal, als würde ich mich selbst beobachten. Da saß ich mitten in einer Gruppe zähnefletschender Wölfe und hatte nicht die geringste Angst. Im Gegenteil. Ich fühlte mich sicher. War das noch dieselbe Person, die auf die andere Straßenseite ging, wenn ihr bei Dunkelheit »unheimliche« Personen entgegenkamen? |32| Oder in deren Wortschatz das Wort Nein nicht vorkam?
    Ich dachte zurück an die letzten Jahre meiner Ehe. Endlose Abende allein zu Hause. Brütendes Schweigen. Angespannte Stimmung. Wir hatten uns aufgerieben an Arbeitslosigkeit, Geldmangel und der Kälte des Alltags. Wir suchten beide einen Ausweg, jeder auf seine Weise, und fanden keinen. Ich wollte nicht aufgeben. Wenn ich doch nur noch ein wenig perfekter wäre, dann würde alles gut werden. Ich passte mich an und machte mich klein. Alles umsonst. Ich verlor mein Selbstvertrauen.
    In Wolf Park hatte ich dazugelernt. Die Wölfe durchschauten mich. Sie erkannten, ob ich etwas nur »spielte« oder es mir ernst war. Sie waren großartige Beobachter meiner Körpersprache. War ich unsicher, senkte den Blick und trat zögerlich auf, nutzten sie das sofort aus und rempelten mich an. Wenn ich direkt auf sie zuging, aufrecht stand und mit bestimmtem Ton zu ihnen »Nein« sagte, folgten sie mir. Wie unartige Hündchen schob ich die Wölfe, die sich nur Zentimeter vor meinem Gesicht gegenseitig anfletschten, sicher und souverän zurück. Mit der größten Selbstverständlichkeit der Welt. Tiere,
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