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Wolfskuesse - Mein Leben unter Woelfen

Wolfskuesse - Mein Leben unter Woelfen

Titel: Wolfskuesse - Mein Leben unter Woelfen
Autoren: Elli H. Radinger
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gehörten Ratten und Mäuse zum Alltag. Ich hatte als Kind einen Hamster besessen und fand Humphrey nach dem ersten Schreck eigentlich recht faszinierend. Ich schloss einen geheimen Pakt mit ihm:
    »Wenn du mich nachts in Ruhe lässt, lasse ich dich auch in Ruhe.« Tapfer ignorierte ich von nun an unseren Mitbewohner.
    Unter eine der Holzstiegen hatten sich ein paar Wespen eine Zweitwohnung gebaut. Wir mussten sehr vorsichtig sein, wenn wir in unser Quartier wollten, um nicht auf eines der Insekten zu treten. Da der Herbst bevorstand, war auch diese Gefahr nur eine Frage der Zeit. Die Wespen würden bald sterben. Dennoch erwischte es mich einmal, als ich nicht aufpasste und beim Hochklettern in eine Wespe griff, die mich prompt stach.
    |26| Da war ich nun – die Ex-Stewardess und Ex-Anwältin, behütet aufgewachsen, weltgewandt und mit besten beruflichen Aussichten. Jetzt küsste ich Wölfe und teilte mein Schmuddelquartier mit einer Ratte und ein paar Dutzend wintermüden Wespen. Die Freiheit versprach spannend zu werden.
     
    Wolf Park bestand seit neunzehn Jahren. Zur Zeit meines Praktikums lebten hier insgesamt zwanzig Wölfe. Aber nur die Hauptgruppe mit zehn Wölfen (das »Main Pack«) gehörte zum Forschungsprojekt. Sie lebten in einem etwa dreitausend Quadratmeter großen Gehege.
    Die Biologin Pat Goodman erklärte mir meine Aufgaben für die nächsten Wochen: »Du musst täglich ein Ethogramm erstellen. Das ist eine Art Katalog, in dem genau aufgelistet wird, was die Tiere tun. Aber pass auf. Du darfst ausschließlich das Verhalten aufschreiben, keine Emotionen.«
    Ich schaute irritiert.
    »Du musst lernen, das zu erkennen und zu trennen. Wenn Chinook – das ist der große, schwarze Wolf dort hinten – mit dem Schwanz wedelt, kann das verschiedene Bedeutungen haben: Er freut sich, er will jagen, oder er greift an. Sieh mal, dort!«
    Es war Besuchstag in Wolf Park. Ein Kleinkind lief, wild mit den Armen rudernd, am Gehegezaun auf und ab. Auf der anderen Seite fixierte Chinook mit nach vorn gerichteten Ohren und erhobenem Schwanz die Kleine. Bei jeder Bewegung preschte er hinterher.
    »Schau mal, der will mit dir spielen«, freute sich die Mutter. Mit Spielen hatte Chinook aber nichts am Hut. Für ihn verhielt sich das Kind wie Beute: Es rannte und schrie. Ohne trennenden Zaun wäre die Mutter wenig begeistert gewesen über den »spielenden« Wolf.
    »Um das Gesamtbild eines Verhaltens zu deuten, um Emotionen zu erkennen oder Reaktionen vorauszusehen, musst du lernen, ein Verhalten einzuordnen«, erklärte Pat.
    |27| Ich verstand. Verhalten verstehen und einordnen. Das könnte auch im »richtigen Leben« hilfreich sein.
     
    Die Aufgabe von uns Praktikanten war es, täglich zwei Stunden lang morgens und abends die Wölfe zu beobachten und ihr Verhalten aufzuschreiben. Dazu saßen wir in einem kleinen Aussichtsturm mit Fenster zum Wolfsgehege. So störten wir die Wölfe nicht und waren außerdem vor schlechter Witterung geschützt.
    Die quirlige Lissi erhoffte sich mit dem Praktikum bessere Chancen auf ein Ethologie-Studium. Verhaltensforscherin war schon immer ihr Traumberuf gewesen.
    »Ich will einmal was mit Wölfen machen« war ihr Wunsch – so wie der vieler junger Menschen, die für ein paar Tage, Wochen oder Monate nach Wolf Park kamen, um als Freiwillige im Park zu helfen. Wir waren unterschiedlichen Alters und kamen aus verschiedenen sozialen Schichten und Ländern. Was uns einte, war der Wunsch, diesen mysteriösen Raubtieren nahe zu sein.
     
    Am nächsten Morgen teilte mir Pat Mephisto zur Beobachtung zu.
    »Das ist ein ruhiger Wolf. Da kannst du üben.«
    Mephisto schlief fest, so wie der Rest der kleinen Wolfsfamilie. Kesho, Aurora, Akili, Faust, Altair, Ursa und Vega lagen ausgestreckt im Gehege. Gelegentlich zuckte ein Ohr. Nur Chinook und Leitwolf Imbo schauten mir zu, als ich auf den Beobachtungsturm kletterte.
    »Chinook möchte gern Leitwolf werden«, klärte mich die Biologin auf.
    »Er versucht immer wieder einmal, Imbo zu provozieren. Pinkelt über seine Markierung. Turtelt mit der Leitwölfin. Aber Imbo lässt das nicht zu.«
    Tatsächlich. Chinook rempelte Imbo im Vorbeigehen an. Der alte Leitwolf knurrte und starrte den Rüpel kurz an. Das reichte. Chinook klemmte den Schwanz ein und zog sich zurück.
    |28| Ich begann mit meinen Aufzeichnungen.
    Mephisto als »ruhigen« Wolf zu beschreiben war untertrieben. Meine Tabelle zeigte folgende Eintragungen:
    7:55 Uhr: Mephisto wacht
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