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Wolfskuesse - Mein Leben unter Woelfen

Wolfskuesse - Mein Leben unter Woelfen

Titel: Wolfskuesse - Mein Leben unter Woelfen
Autoren: Elli H. Radinger
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Haupt trug ich den Wolfsknutschfleck wie eine Auszeichnung an meiner Wange. Ich bedauerte nur, dass mich niemand darauf ansprach. Wie gern hätte ich ein wenig damit angegeben. Selbst im Supermarkt schauten alle nur entweder betreten zur Seite oder schenkten mir ein breites Grinsen. Knutschfleck – ja, ja …
     
    Wolf Park war ein Forschungsgehege, und entsprechend geschäftig ging es zu. Erich lehrte an der Universität von Lafayette Verhaltensforschung. Einige seiner Studenten beobachteten hier die Wölfe und schrieben an ihrer Examensarbeit. Wir Praktikanten hatten dagegen sehr viel mehr Freiheiten. Außer mir war nur eine weitere Praktikantin hier: Lissi, eine neunzehnjährige junge Frau aus Österreich. Sie wollte Verhaltensforschung studieren und sich auf Wölfe spezialisieren. Lissi war auf einem Bauernhof aufgewachsen, entsprach aber vom Äußeren her gar nicht dem Bild einer Bauerstochter. Groß, mit Modelmaßen und zarten Gesichtszügen, die mittellangen dunklen Haare zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, konnte ich sie mir nur schwer beim Ausmisten oder Viehtreiben vorstellen. Aber Lissi sollte sich als unkompliziertes Naturkind herausstellen, das kräftig zupacken konnte.
     
    |24| Wir waren im »Weißen Haus« untergebracht, einer windschiefen Hütte, deren abgeplatzte weiße Farbe dem großspurigen Namen keine Ehre machte. Ich teilte mir mit Lissi einen Schlafraum unter dem Dach. Das Erdgeschoss wurde von Monty Sloan, dem Tierfotografen des Parks, bewohnt. Monty lebte seit etwa fünf Jahren hier und hatte sich mit seinen Wolfsfotografien einen Namen gemacht. So beäugten wir den zierlichen jungen Mann mit den dunklen Locken zunächst schüchtern. Seine neunundzwanzig Jahre sah man Monty nicht an. Vielleicht hoffte er, mit seinem Schnurrbart älter zu wirken. Zögernd löste er sich von seinem Computer, als wir einzogen. Computer und Wölfe waren seine beiden großen Leidenschaften. Tagsüber im Wolfsgehege, um seine Lieblinge zu fotografieren, und nachts vor dem Computer, das war Montys Leben.
    Der vordere Teil des Hauses war als Visitor Center eingerichtet. Hier konnten Besucher Wolfsartikel erwerben. T-Shirts, Wolfsbilder, Schlüsselanhänger, Bücher. Alles lag fein säuberlich in kleinen Vitrinen und Auslagen.
    Gleich hinter der Tür zum Besucherraum begann das Chaos. Die kleine Küche lud nicht gerade zum Verweilen ein. Medizin für die Tiere, Fotoentwickler und Cornflakes stapelten sich auf dem Tisch.
    »Wenn ihr den Kühlschrank aufmacht, esst oder trinkt nichts, wo kein Name drauf steht«, hatten uns die Studenten gewarnt. Erst später erfuhren wir, dass Monty gern Spermaproben der Wölfe im Kühlschrank aufhob.
    Um zu unserem Zimmer zu gelangen, mussten Lissi und ich uns einen Weg durch Montys Schlafzimmer bahnen und über eine steile Holzstiege ins Dachgeschoss klettern. Die schrägen Wände waren mit einfachen Holzpanelen bedeckt, die sich teilweise lösten. Die Decke bestand aus Styroporplatten, zwischen die zur Abdichtung Zeitungspapier gestopft war. An der einen Wand war eine Holzplatte als Tisch zwischen zwei Doppelstockbetten gestellt. Kisten, Bücher, Decken und der Fernseher stapelten sich auf den Pritschen. Arbeiten war |25| hier kaum möglich. Quer im Raum stand eine weiße Holzkommode, deren unterste Schublade klemmte. Ein Spiegel lehnte an der Wand, und ein Ventilator auf der Kommode sollte im Sommer wohl für Kühlung sorgen. Eine Holzstange, die von der Decke hing, diente als Kleiderstange. An der anderen Wand befand sich unter der Schräge Lissis Bett. Mein Schlafplatz war im Neunzig-Grad-Winkel dazu ausgerichtet und aus groben Brettern gezimmert. Drei alte Wolldecken sollten wohl das Bettzeug sein. Ich versuchte nicht an die vielen Flöhe zu denken, die sich hier vermutlich tummelten. Couchtisch war eine alte Truhe, deren Furnier auseinanderklaffte. Zwei ausgefranste Sessel boten zusätzliche Sitzgelegenheiten. Der Bodenbelag schien neu und bestand aus bunt gestreiftem Kunststoff. Ein Metallständer mit aufgeschraubter Glühlampe diente als Lampe. Die Fenster waren matt, ob es am Alter oder am Dreck lag, vermochte ich nicht zu sagen. Alle Ritzen im zugigen Dachgeschoss waren entweder mit Papier oder mit toten Fliegen verstopft.
    Das erste nichtwölfische Tier, das uns im neuen Heim begrüßte, war eine Ratte namens Humphrey.
    »Humphrey hat hier Asyl. Wehe, ihr tut ihr was!«, hatte uns Monty gedroht, der auf unseren Schrei hin herbeieilte.
    Für Lissi, das Bauernkind,
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