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Wolfsherz

Wolfsherz

Titel: Wolfsherz
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Moment herumzuplagen hatte. Rebecca war krank. Sie war natürlich viel zu stolz, um es zuzugeben, und Mewes kannte sie viel zu gut, um es ihr zu sagen, aber sie wußten beide, daß es so war. Seit zwei Tagen schlief sie sehr viel, und ihre Gespräche waren immer einsilbiger und kürzer geworden. Sie hatte praktisch ununterbrochen Durst, und man mußte nicht extra die Hand auf ihre Stirn legen, um zu erkennen, daß sie Fieber hatte. Mewes selbst erging es nicht viel besser. Sein Kopf fühlte sich an wie ein aufgeblasener Heißluftballon, und in seinem Mund war ein widerwärtiger Geschmack, der sich mit nichts hinunterspülen ließ. Sie waren beide krank. Sie hätten nicht herkommen sollen.
    Die Tür fiel hinter ihm ins Schloß, und das Geräusch weckte Rebecca. Während sie sich schlaftrunken aus dem Durcheinander von strohgefüllten Kissen, Wolldecken und ausgebreiteten Kleidungsstücken hervorarbeitete, ging Mewes zum Kamin und ließ sich davor in die Hocke sinken. Seine Gelenke knackten, als wäre er zweiundneunzig Jahre alt, nicht knapp zweiundvierzig. Aber im Moment fühlte er sich auch wie ein uralter, schwacher Mann.
    Dabei vermittelte sein Äußeres normalerweise eher den gegenteiligen Eindruck. Obwohl er die kritische Grenze von vierzig bereits überschritten hatte, hätte er selbst einem skeptischen Beobachter glaubhaft weismachen können, keinen Tag älter als fünfunddreißig zu sein. Er hielt sich mit verschiedenen Sportarten körperlich fit, ohne eine davon exzessiv zu betreiben, und die meisten seiner Freunde und Bekannten waren tatsächlich gute zehn Jahre jünger als er, so daß er manchmal wirklich das Gefühl hatte, mit einem falschen Personalausweis in der Tasche herumzulaufen. Er war muskulös, ohne wie einer jener Bodybuilding-Typen zu wirken, die einem von Filmplakaten und den Titelseiten einschlägiger Hochglanzmagazine entgegenlächelten und trug das Haar zu einem modischen Bürstenschnitt frisiert. Mewes zählte durchaus zu jenen Menschen, die Freude am Leben haben: Er trank mäßig, aber gern; erzählte allen, die es hören wollten, daß er sich zehn Zigaretten am Tag gestattete - die Wahrheit lag eher bei dreißig -; und sein Beruf als Fotojournalist ermöglichte es ihm, öfter in der Welt herumzureisen, als seine finanziellen Möglichkeiten eigentlich erlaubt hätten.
    Im Moment jedoch fühlte er sich alles andere als lebenslustig, und ungefähr so fit wie ein Hummer in der Tiefkühltruhe. Seine Hände zitterten heftig, als er sie nach der verbeulten Kaffeekanne ausstreckte, die an einem Draht über dem offenen Feuer hing. Natürlich verbrannte er sich an dem heißen Metall. Aber er verbiß sich jeden Laut, trug die Kanne zum Tisch und steckte dann die schmerzenden Fingerspitzen in den Mund. Scheiß-Wildwestromantik.
    »Wie lange... habe ich geschlafen?« fragte Rebecca stockend. Ihre Stimme klang matt.
    »Nicht lange«, antwortete Stefan. Er nahm die Finger aus dem Mund, ging zum Schrank und fragte: »Kaffee?«
    »Den letzten Kaffee habe ich vor einer Woche bekommen«, antwortete Rebecca. Er konnte hören, wie sie sich weiter unter dem Deckenstapel hervorarbeitete und aufsetzte. »Aber wenn du das hellbraune Zeug meinst, das sie hier
Kaffee
nennen... warum nicht?«
    Stefan nahm zwei Blechtassen aus dem Schrank, die genauso zerbeult und alt waren wie die Kanne, trug sie zum Tisch und goß sie voll. Der Kaffee war nicht ganz so schlecht, wie Becci getan hatte, aber hinreichend scheußlich, um nur heiß überhaupt genießbar zu sein. Stefan sparte sich die Mühe, nach Zucker und Milch zu suchen. Es gab keine. Noch vor einer Woche hätte er schwarzen Kaffee empört abgelehnt; jetzt nahm er einen großen Schluck, ehe er die beiden Tassen ergriff und damit zu Becci hinüberging. Es war schon erstaunlich, wie rasch man bescheiden wurde, wenn es die Umstände verlangten.
    »Hier«, sagte er. »Er ist zwar scheußlich, aber heiß.«
    Rebecca schwang die Beine von der Liege, griff nach der Tasse und schmiegte beide Hände um das heiße Metall. Sie zitterte ganz sacht, aber am ganzen Leib. Die Vibrationen setzten sich über die Kaffeetasse fort und erzeugten rasche, regelmäßige Wellenkreise auf der Oberfläche der schwarzen Flüssigkeit.
    »Wo ist Wissler?« fragte sie, nachdem sie an dem Kaffee genippt und gebührend das Gesicht verzogen hatte.
    »Nebenan«, antwortete Stefan. Er setzte sich auf die Bettkante, hielt aber fast einen Meter Abstand zu ihr. »Er schachert gerade wie ein
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