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Wolfgang Ambros - Die Biografie

Wolfgang Ambros - Die Biografie

Titel: Wolfgang Ambros - Die Biografie
Autoren: Wolfgang Ambros
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war schon fühlbar, vor allem seitens meines Vaters, aber den konnte wahrscheinlich auch nur ich erkennen, weil ich fünf Jahre lang das allein herrschende Kind in dieser Familie war.
    Meine Mutter hat ihr Schicksal angenommen, das ist sie von klein auf gewohnt. Sie stammt aus dem Waldviertel und war das letzte von sieben Kindern. Wie sie noch ganz klein war, hat ihre älteste Schwester schon das erste Kind gekriegt. Sie hat gelernt: Beschwerlichkeiten und jede Art von Anstrengung trägt man, ohne sich groß zu beklagen. Sie steckt alles weg. Bis zum heutigen Tag habe ich von ihr nie ein Jammern gehört. Das verbindet uns. Jetzt ist sie über achtzig, fit und nach wie vor eine beeindruckendeErscheinung. Für mich ist sie eine Heldin. Und eine treue Seele. Die Ehe meiner Eltern hat bis zum Ende bestanden, da gab es für sie nie einen Hauch von Zweifel.
    Mein Vater war übrigens gleichzeitig mein Lehrer. Knapp vor meinem Schuleinstieg sind wir zur Abwechslung wieder einmal übersiedelt. So oft, wie wir unseren Hausrat in Kisten gepackt haben, ist es erstaunlich, dass ich kein Spediteur geworden bin, aber gut. Der Vater bekam einen Posten als Oberlehrer der einklassigen Volksschule von Wolfsgraben und dazu eine Dienstwohnung auf der Hinterseite des Gebäudes, in die wir eingezogen sind mit Bomben und Granaten. In einer Schule habe ich auch schon in Rekawinkel gewohnt, diesmal habe ich in meiner Schule gewohnt.
    Und ich habe zum ersten Mal ein eigenes Zimmer gehabt. Wobei eigenes Zimmer womöglich ein wenig zu hoch gegriffen ist. Es war sehr klein, ein Durchgangszimmer auf dem Weg von der Küche in den Wohnraum. Aber es hat sich angefühlt, als würde mir auf einen Schlag ein ganzes Haus gehören.
    Eine schönbrunnergelbe Villa mit zwei Etagen. Aufgestockt, mit Stufen vor dem Haupteingang, so etwas hatte ich bis dahin überhaupt noch nie. Gleich oben war das Klassenzimmer und dahinter das Lehrmittelkammerl. Von der Wohnung bin ich hinten raus, über eine steinerne Treppe und linker Hand in die Klasse. Das war mein Schulweg, vier Jahre lang.
    Und gleich vor der Haustür begann die große, weite Welt. Ein noch riesigerer Garten als in Rekawinkel und noch mehr Freiheit. In Wahrheit: Freiheit ohne Ende. Keine Zäune, keine Grenzen. Es war ein Leben in sagenhafter Unbeschwertheit. Ich war sechs und damit so weit, dass ich meiner Wege gehen konnte. Ich habe den Wald erforscht und in den folgenden Jahren all das erlernt, was ich heute weiß.
    Außerdem gab es einen Tischler im Ort, den alten Herrn Lechner, bei dem habe ich eine ganz eigene Lehre gemacht. Er mochte mich gern und ich bin stundenlang bei ihm in der Werkstatt gesessen, habe gerochen, geschaut, zugehört. Er hat mir alles über Bäume erzählt und worauf man aufpassen muss, wenn man dasHolz bearbeitet. Wie man es in die Säge steckt, wie es sich verformt, wie es als sauberes Stück herauskommt. Die Effizienz seines Tuns, dieses Augenscheinliche hat mich fasziniert, es war für mich klar, dass ich Tischler werden wollte.
    Was man sonst noch in dem Alter wissen muss, hat mir mein Vater beigebracht. In einer einklassigen Volksschule unterrichtet ein Lehrer alle vier Schulstufen, und zwar synchron. Da sitzen in der einzigen Klasse an die dreißig Kinder, praktisch alle Sechs- bis Zehnjährigen aus dem ganzen Dorf. Die erste Klasse war links vorne platziert, die zweite Klasse rechts davon, die dritte links hinten und die vierte rechts daneben. Als Schüler bist du in vier Jahren also in einem Z versetzt worden. Und der Lehrer musste alle gleichzeitig abfertigen.
    Ohne System bist du da aufgeschmissen. Mein Vater hat das souverän gemacht, da war er großartig, fast genial. Er stand hinter dem Katheder und beschäftigte die Kinder wie ein Dirigent. Inklusive dem eigenen Sohn.
    Leser: »Das war sicher …«
    Nein.
    Leser: »Du weißt doch noch gar nicht, was …«
    O ja. Fragt man mich ja immer wieder: War das nicht seltsam, der Vater gleichzeitig auch der Lehrer? Es war in keiner Weise seltsam. Jeder im Dorf hat gewusst, dass Lehrer auch Kinder haben und dass es keine andere Möglichkeit gab, als sie selber zu unterrichten. Was hätte er auch tun sollen? Mich jeden Tag nach Pressbaum führen, damit er mich nicht bei sich in der Klasse hat? Und ich möchte schon sagen, mein Vater hat mir nie das Gefühl gegeben, dass ich etwas Besonderes wäre, das muss ich ihm schon zu hundert Prozent zugutehalten. Er war weder besonders streng noch besonders nachsichtig. Und meine
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