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Wohnraum auf Raedern

Wohnraum auf Raedern

Titel: Wohnraum auf Raedern
Autoren: Michail Bulgakow
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das bringt keine Erleichterung. In einigen Stunden verl ö schen die Sterne, und die feurige Kugel steht wieder über uns. Und wieder werden wir nach Atem ringen, wie aufgespießte Käfer ...
    Durch die Balkontür ist ununterbrochen das dünne Weinen eines Kindes zu hören. Hier, wo sich die Füchse gute Nacht sagen, am Fuße der Berge, in einer wildfre m den Stadt, in einem winzigen Zimmer, wurde Sljoskin ein Sohn geboren. Er wurde in eine Schachtel mit der Au f schrift: »M-me Marie, Modes et Robes« gelegt.
    Er jammert in der Schachtel.
    Armes Kind!
    Nicht das Kind. Wir sind arm!
    Die Berge schließen uns ein. Der Stolowaja-Berg schläft im Mondschein. Weit, weit im Norden erstr e cken sich grenzenlose Ebenen. Hier, im Süden – Schluchten, Abgründe, Wildbäche. Irgendwo im We s ten ist das Meer. Darüber glänzt das Goldene Horn ...
    »Haben Sie die Fliegen auf Tangle-foot gesehen?!«
    Sobald das Weinen aufhört, gehen wir in den Käfig. Tomaten. Etwas schwarzes Brot. Und Arak. Was für ein widerlicher Wodka! Ekelhaft! Aber nach ein paar Schlucken wird einem doch leichter.
    Und wenn rundherum alles totenstill geworden ist, liest mir der Schriftsteller seine neue Erzählung vor. Ich bin sein einziger Zuhörer. Die Nacht zieht dahin. Er ist zu Ende, packt das Manuskript sorgfältig ein und legt es unter ein Kissen. Schreibtisch gibt es keinen.
    Wir flüstern noch bis zum Morgengrauen.
    Nur durch Leiden kommt man zur Wahrheit ... Das stimmt, glauben Sie es mir! Aber für die Wahrheit b e kommt man kein Geld und keine Lebensmittelration. Traurig, aber wahr.
     
     
    8 . Vom Winde verweht
     
    Jewreinow ist hier. In einem gewöhnlichen weißen Kragen. Auf der Durchreise vom Schwarzen Meer nach Petersburg.
    Irgendwo im Norden gibt es so eine Stadt.
    Existiert sie noch? Der Schriftsteller lacht; er versichert uns, daß sie existiert. Aber die Reise dorthin dauert lang: drei Jahre im Viehwaggon. Einen ganzen Abend erholten sich meine Augen auf dem weißen Kragen. Einen ganzen Abend lauschte ich Abenteuergeschic h ten.
    Ach, Literatenschicksale ...
    Kein Geld. Von Dieben bestohlen ...
    ... Am nächsten Abend, bei Sljoskin, setzte sich N i kolaj Nikolajewitsch im verrauchten Wohnzimmer, das die Hausfrau zur Verfügung gestellt hatte, ans Klavier. Die prüfenden Blicke ertrug er mit stoischer Ruhe. Vier Dichter, eine Dichterin und ein Maler (aus der Gru p pe) saßen wohlerzogen da und starrten ihn an.
    Jewreinow ist ein findiger Mensch: »Wie wär’s mit den ›Musikalischen Grimassen‹ ...« Mit diesen Worten wandte sich Jewreinow den Tasten zu und begann. Zuerst ...
    Zuerst über den Elefanten, der auf Besuch ist und Klavier spielt, dann über den verliebten Stimmer, d a nach den Dialog zwischen Schwert und Gold und z u letzt die Polka.
    In zehn Minuten hatte die Gruppe ihre Funktionsf ä higkeit völlig eingebüßt. Sie wälzte sich vor Lachen, wedelte mit den Händen und stöhnte ...
    ... Ein Mensch mit lebenden Augen fuhr fort. Ohne alle Grimassen!
    Der Wind hat alle erfaßt. Wie Blätter fliegen sie. E i ner aus Kertsch nach Wologda, der andere aus Wologda nach Kertsch. Auch Ossip, die Haare zerwühlt, ist mit einem Koffer unterwegs und schimpft: »Wir werden nicht ankommen, ihr werdet schon sehen!«
    Natürlich kommt man nicht an, wenn man nicht weiß, wohin man fährt!
    Gestern war Rjurik Iwnjew da. Aus Tiflis nach Mo s kau.
    »In Moskau ist es besser.«
    Einmal war ihm das Wandern zuviel geworden, und er hatte sich in den Straßengraben gelegt.
    »Ich stehe nicht auf. Irgend etwas muß doch gesch e hen!«
    Und es geschah etwas: zufällig kam ein Bekannter vorbei und spendierte ihm ein Mittagessen.
    Ein anderer Dichter kommt. Er fährt von Moskau nach Tiflis.
    »In Tiflis ist es besser.«
    Der dritte ist Ossip Mandelstam. Er kam an einem trüben Tag herein und trug den Kopf hoch wie ein Prinz. Seine Lakonismen waren tödlich.
    »Von der Krim. Mies. Kauft man eure Manuskri p te?«
    »... aber Geld zahlen sie kei...«, wollte ich sagen und war noch nicht zu Ende, da war er schon fort. Unb e kannt wohin ...
    Der Schriftsteller Pilnjak. Nach Rostow, mit einem Getreidezug, in einer weiblichen Strickjacke.
    »Ist es in Rostow besser?«
    »Nein, ich fahre zur Erholung!!«
    Er ist ein Original – seine Brillenfassung ist vergoldet.
    Serafimowitsch kommt aus dem Norden.
    Seine Augen sind müde, seine Stimme ist dumpf. Er hält in der Dichtergruppe einen Vortrag.
    »Erinnern Sie sich, Tolstoj hatte ein Tuch an einen Stab
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