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Wohllebengasse: Die Geschichte meiner Wiener Familie (German Edition)

Wohllebengasse: Die Geschichte meiner Wiener Familie (German Edition)

Titel: Wohllebengasse: Die Geschichte meiner Wiener Familie (German Edition)
Autoren: Tim Bonyhady
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erkennbaren Bleistiftstrichen angebracht, als wäre seine Person vollkommen unwichtig. Der Dargestellte war Gustav Mahler, der es in dicker schwarzer Tinte signiert hatte.
    Der Rest der Wohnung war voller Gemälde anderer österreichischer Maler, beinahe alle Mitglieder der Secession. Typisch war etwa das größte Zimmer mit Blick auf den Hafen. Das eindrucksvollste, auffälligste Bild hier war das lebensgroße Porträt einer Frau in Weiß. Wie Orliks Mahler-Radierung war das Gemälde 1903 in der Secession gezeigt worden, doch hatte es wegen des Malers und nicht wegen des Sujets Interesse erregt. Es gehörte zu der kleinen Gruppe von Porträts, die Gustav Klimt vom Ende der 1890er Jahre bis zu seinem Tod 1918 gemalt und von denen er im Durchschnitt nur eines pro Jahr vollendet hatte. Es stellte Hermine Gallia dar, die Mutter von Gretl und Käthe.
    Die Möbel stammten fast alle von Josef Hoffmann, dem Architekten, der häufig die Einrichtungen für Klimts Mäzene entwarf. In der verglasten Veranda stand ein Ensemble mit Tischen, Stühlen und Vitrinen, alles weiß gestrichen mit Blattgoldverzierung. Die restlichen Zimmer waren mit schwarzen Möbeln vollgestellt, beinahe alles gebeizt, sodass die Maserung durchschimmerte. Hier fanden sich schwarze Tische, schwarze Stühle, schwarze Buffets, schwarze Uhren, eine schwarze Vitrine, eine schwarze Lampe, ein schwarzer Klavierschemel, dazu an den Wänden der beiden Schlafzimmer und des langgezogenen Flurs, der zum Bad und zur Toilette führte, sieben schwarze Bücherschränke mit Glastüren.
    Auch die Teppiche in der Wohnung hatte Hoffmann entworfen, ebenso fast das ganze Silber in der schwarzen Kommode und auf den schwarzen Bücherschränken. Dieses Silber stammte aus der berühmten Wiener Werkstätte; Hoffmann war 1903 einer ihrer Mitgründer gewesen. Sein Ziel war es, »gutes, einfaches Hausgerät« zu schaffen im Gegensatz zu Sachen aus »schlechter Massenproduktion«; wenn Hoffmann allerdings von »einfach« sprach, meinte er Silber statt Gold und Halbedelsteine statt Diamanten. Die Kunden der Werkstätte waren reich, das verstand sich für ihn von selbst. So wie Klimt sich bewusst elitär gab, als er eine seiner ersten Ausstellungen in der Secession mit einem leicht abgewandelten Schiller-Zitat eröffnete – »Kannst du nicht allen gefallen durch deine That und dein Kunstwerk – Mach es Wenigen recht. Vielen gefallen ist schlimmer« –, so tat dies auch Hoffmann, als er die Werkstätte gründete. »Zwar fürchte ich, dass der Kampf ein ungleicher sein wird, ja dass es überhaupt nicht mehr möglich ist, die Masse zu bekehren«, erklärte er; »dann aber ist es umsomehr unsere Pflicht, die Wenigen, die sich uns zuwenden, glücklich zu machen.«
    Die Keramik-, Glas- und Emailobjekte, die die beiden Vitrinen in der Veranda füllten, waren weitaus unterschiedlicher. Die meisten Stücke waren Royal-Copenhagen-Porzellan, dazu gab es Vasen von Gallé und Lalique aus Paris, böhmisches und venezianisches Glas, dänische und französische Emailarbeiten und etliche Schalen, Vasen, Becher und Figurinen von Wiener Designern vom Anfang des 20. Jahrhunderts, darunter Hoffmann. Eine Vorliebe für Sentimentales, wenn nicht Kitsch, war deutlich erkennbar, nicht nur in einer Menagerie von Hündchen, Enten und Mäusen aus Royal-Copenhagen-Porzellan, sondern auch im größten, auffälligsten Objekt, geschaffen von Michael Powolny, jenem Wiener Keramikkünstler nach 1900, der eine besonders extravagant-dekorative Linie vertrat. Es war eine ovale Dose, am Deckel kniete auf einer Blumenwiese ein Ritter in goldener Rüstung und umarmte ein nacktes Mädchen mit langen gelben Haaren – eine Keramik-Version des berühmten Klimt-Gemäldes »Der Kuss«.
    Die Bücher in den Schränken mit den Glastüren reichten von den deutschen Klassikern, die Moriz und Hermine sammelten, bis zu modernen britischen Autoren, die Gretl gekauft, und modernen australischen, die Kathe (wie Käthe sich in Australien umbenannt hatte, während aus Annelore Anne wurde) beigesteuert hatte. Auch Erstausgaben der bahnbrechenden, einflussreichsten Wiener Schriftsteller der Zeit um 1900 und danach – literarische Zeitgenossen von Klimt und Hoffmann – waren zu finden, darunter Werke des großen Polemikers und Satirikers Karl Kraus, des Kritikers, Essayisten und Dramatikers Hermann Bahr (selbsternannter Kopf der literarischen Bewegung »Jung Wien«) und des Romanciers und Dramatikers Arthur Schnitzler, den Sigmund Freud
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