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Wohin mit mir

Wohin mit mir

Titel: Wohin mit mir
Autoren: Sigrid Damm
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ich mich, stand mit einem Blumenstrauß am Bahnhof. Und schließlich der Festsaal des Sommerpalais in Greiz. Der Raum ist mir nicht mehr in Erinnerung, nur das Gefühl, daß ich während der Lesung fror. Ein Kälteeinbruch an diesem Tag. Auch danach im Bett kann ich mich nicht erwärmen. Gegen drei Uhr hocke ich verfroren im Bad, die Füße auf der Heizung, und trinke in Ermangelung von anderem heißes Wasser aus der Leitung. Um 6 Uhr muß ich aufstehen, so früh ist niemand da, der Frühstück machen könnte. Von Greiz nach Neubrandenburg. Die Eröffnung des »Bücherfrühlings« im Brigitte-Reimann-Haus. Ich fühle mich heimisch, Theaterleute, Freunde, viele bekannte Gesichter, ich war oft hier, als der Sohn zwischen Abitur und Wehrdienst für ein Jahr Praktikant am hiesigen Puppentheater war.
    Am nächsten Morgen ein ausgiebiges Frühstück; für den Vortag mit. Dann durch das Stadttor hinaus zum Tollensesee. Auf der Wasserfläche spiegelt sich die Sonne. Wenn es irgend möglich ist, versuche ich, den Tag vor der Abfahrt in die nächste Stadt mit einem Spaziergang zu beginnen. Ich entsinne mich an den Morgen an der Elbe in Meißen, an den in den Weinbergen von
Fellbach, ich lief über betonierte Wege, entsinne mich an den noch winterlichen Gang mit meiner Freundin Christine am Maschsee in Hannover, die vielen Pelzmäntel und Hüte dort. Und im April lief ich durch den Schloßpark in Karlsruhe, das heitere Lärmen der Vögel, die Kastanien fingen an zu blühen. In Karlsruhe fand ich sogar Zeit für einen Museumsbesuch, ich entdecke einen wunderbaren Hans Baldung Grien: »Die Geburt Christi« von 1539.
    Und es gab zwei freie Tage. Den einen in Osnabrück. Das Felix Nußbaum-Haus wird eröffnet. Ein Festakt mit geladenen Gästen. Danach gelingt mir das Hineinkommen. Der Daniel Libeskind-Bau, die Nußbaum-Bilder. Überwältigend. Der zweite freie Tag, ein Sonntag zwischen den Lesungen in Leipzig und Sondershausen. Ich fahre zu meinen Buchhändlerfreunden nach Gotha, wir wandern im Thüringer Wald, zur Tanzbuche, wo ich so oft als Kind war. Und ich übernachte in ihrem Dachstübchen mit dem Blick auf den Krahnberg.
    Am intensivsten ist meine Erinnerung an die Orte, wo ich zum zweiten Mal las. Freudenstadt im Schwarzwald. Der Flug nach Stuttgart. Von dort mit dem Zug. Schneetreiben. In Freudenstadt zehn Zentimeter Neuschnee. Gleich nach der Ankunft eine Schneewanderung. Glück: bewegliche Wände aus Weiß, das seltsame Geräusch, wenn der Wind in die schneeschweren Bäume fährt und sie schüttelt. Abends die Lesung. Die erste vor Jahren war aus »Vögel, die verkünden Land«. Der Buchhändler, dessen freundliches Gesicht ich in Erinnerung habe, ist an Krebs gestorben. Seine Frau führt das Geschäft weiter. Den jungen Deutschlehrer erken
ne ich sofort wieder, sieben Kilometer sei er gestapft, erzählt er, und, daß er zur Zeit in seinem Deutsch-Kurs mein Lenz-Buch behandele. Auch der über achtzigjährige Geigenlehrer ist wieder da. Die Gesichter im Publikum, die Gespräche danach. Alles stimmt. Auch in Sondershausen. Hier las ich vor Jahren aus »Ich bin nicht Ottilie«. Herr Meyer von der Wezel-Gesellschaft. Und seine Frau. Thüringer Klöße dampfen bei meiner Ankunft auf dem Tisch. Die Lesung. Danach gibt es im Gespräch im kleinen Kreis keinen Weg, der nicht von Goethe zu Wezel führt; das rührende Engagement für diesen in Sondershausen geborenen Johann Karl Wezel, wie Jakob Michael Reinhold Lenz ein vergessener Dichter. Am anderen Morgen, erinnere ich mich, schien auf der Fahrt nach Erfurt die Sonne. Dann kam Nebel, der wie ein lebendiges Wesen in Schwaden über die Felder wanderte. Schließlich Wertheim. Auch hier war ich schon. Langes Gespräch mit der Buchhändlerin über die Krankheit ihres Mannes. An kein Gesicht erinnere ich mich, auch nicht an den Raum, in dem ich las; nur an die angstvolle Sorge dieser Frau, und daran, daß sie nach der Lesung die kleinen, mit Stoff bezogenen Knöpfe und die handgearbeiteten Schlaufen an meinem schwarzen Kleid und an meiner Jacke bewunderte.
    Und daß ich nach Mitternacht – es war der 29. April, ich hatte alle Lesungen geschafft – das Hotel nochmals verließ und bei Vollmondschein durch den Bilderbuchort ging, die Blumen im Arm, die ich in den vergangenen Tagen bekommen und von Ort zu Ort geschleppt hatte. Die Rückreise würden sie kaum überstehen. Ich
machte an einer Brücke halt, warf eine Blüte nach der anderen in die Tauber, sah ihrem langsamen
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