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Wofuer die Worte fehlen

Wofuer die Worte fehlen

Titel: Wofuer die Worte fehlen
Autoren: Carolin Philipps
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Bewegungen. Und nicht mit dem Stuhl kippeln! Am besten, du setzt dich hier auf die Liege.«
    Kristian grinst sie dankbar an. In solchen Momenten ist er unendlich traurig darüber, dass sie nicht mehr zu Hause wohnt.
    Dann ist er allein mit Tobias. Behutsam steckt er ihm den Sauger der Flasche in den Mund und betrachtet seinen kleinen Neffen, wie er begierig nuckelt. Wie eine Maschine bewegt er seinen Mund und gibt kleine glucksende Laute von sich. Es dauert eine Ewigkeit, bis die Flasche leer ist. Noch ehe der letzte Tropfen verschwunden ist, fallen Tobias die Augen zu.
    Kristian weiß nicht, was er nun machen soll. Als er versucht aufzustehen, um den Kleinen in sein Bettchen zu legen, öffnet Tobias die Augen und sieht ihn an. Kristian setzt sich wieder hin, ein glückliches Lächeln geht über Tobias’ Gesicht, dann schließt er die Augen und schläft weiter.
    Kristians Arme werden langsam steif, er traut sich nicht, sich erneut zu bewegen. So sitzt er da und bewacht den Schlaf seines kleinen Neffen.
    Irgendwann schaut Katarina herein und findet beide schlafend auf der Liege vor. Sie nimmt ihm den Kleinen aus dem Arm und legt diesen in sein Bett zurück.
    Â»Sie wollen jetzt gehen«, flüstert sie Kristian zu. «Wenndu willst, sag ich ihnen, dass du eingeschlafen bist und hierbleibst.«
    Er rollt sich auf der Liege neben Tobias’ Bett zusammen. Es ist die erste Nacht seit Wochen, die er durchschlafen kann, ohne mit Bauchschmerzen aufzuwachen.

Der Schwarze Ritter ist die Hauptfigur in Kristians Manga-Geschichte. Jeden Mittwochnachmittag trifft er sich mit anderen begeisterten Manga- und Anime-Fans in der Schule, um zu lernen, wie man die japanischen Figuren zeichnet.
    Die Kopf- und Körperformen, Gesten der Hände, Stellung der Beine, Action, Angriff und Verteidigung, Kostüme, die ganze Palette, die man beherrschen muss, um vielleicht einmal ein berühmter Mangaka zu werden, so wie Frau Momoka Bartsch, die Kunstlehrerin, die den Zeichenkurs seit Beginn dieses Schuljahres anbietet.
    Sie kommt aus Japan und ist dort eine ziemlich berühmte Mangaka. Sie ist hier mit einem Deutschen verheiratet und hat eine vierzehnjährige Tochter, die in die neunte Klasse geht: Sakura heißt sie, was »Kirschblüte« bedeutet. Sie hat dunkle, schmale Augen, pechschwarze lange Haare und sitzt seit Beginn des Zeichenkurses neben Kristian.
    Schon in der Grundschule hat er leidenschaftlich gerne gezeichnet. Meist hat er die Figuren aus irgendwelchen Comicheften abgemalt. Donald Duck und Micky Maus, Cinderella und all die anderen. Und dann hat er vor vier Jahren die Welt der Mangas entdeckt. Zunächst hat er sie nur von verschiedenen Vorlagen abgezeichnet. Aber inzwischen ist er längst dazu übergegangen, eigene Figuren zu erfinden.
    Für Kristian sind diese Zeichenstunden der Höhepunkt seines Schullebens, denn hier muss er nicht ständig befürchten, dass aus der Vier minus, auf die er in nahezu allen Fächern ein Abonnement zu haben scheint, eine Fünf wird.Hier gehört er zu den Besten und bekommt ein Lob nach dem anderen von Frau Bartsch.
    Nur Sakura ist noch besser. Aber das ist kein Wunder. Schließlich hat sie das Zeichnen schon als kleines Kind von ihrer Mutter gelernt. Kristian ist jedenfalls froh, dass sie neben ihm sitzt und ihm immer wieder kleine Tricks verrät, wie er seine Figuren lebendiger wirken lassen kann. Hier ein Strich und dort eine kleine Drehung und schon fangen die Zeichnungen an zu leben.
    Der Schwarze Ritter, den Kristian Takumi genannt hat, was auf Deutsch »meisterhafter Handwerker« heißt, trägt eine Rüstung aus schwarzen, glänzenden Lederschuppen, die seinen Körper wie einen Schildkrötenpanzer umschließt. Dadurch wird er unverwundbar. Nichts und niemand kann diesen Panzer durchdringen.
    Sakura hat anfangs gelacht, als er ihr seine Zeichnung so erklärt hat. »Jeder hat eine verwundbare Stelle. Man muss sie nur finden!«
    Â»Der Schwarze Ritter nicht!«, hat Kristian gesagt und seine Stimme klang so traurig, dass Sakura ihn verwundert angeschaut hat. Erschrocken senkte er den Kopf und malte mit hektischen Bewegungen die Rüstung des Schwarzen Ritters weiter aus.
    Auch Sakuras Mutter, die in der Nähe stand, stutzte kurz, fragte aber nicht weiter. Kristian seufzte erleichtert auf. Das Geheimnis des Schwarzen Ritters war gerettet, und das war gut so.
    Ãœber der Lederrüstung trägt
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