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Wodka und Brot (German Edition)

Wodka und Brot (German Edition)

Titel: Wodka und Brot (German Edition)
Autoren: Mira Magén
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Ich setzte Nadav an den Tisch und tat, als wäre nichts passiert. Als würden wir nicht hören, wie ein dritter Mund schlürfte und wie das Getränk in einen leeren Bauch gluckerte, und als würde kein Fuß gegen das Tischbein treten und unsere Tassen erzittern lassen. Sie trank die Tasse leer, stand auf, fragte, wo die Toilette sei, ließ die leere Tasse auf dem Fußboden stehen und ging zum Flur. Die Badezimmertür wurde aufgemacht und zugeknallt. Meine Cremes und das wenige Schminkzeug waren nun in ihrer Reichweite. Insgeheim beschloss ich, alles wegzuwerfen, denn Gott weiß wie viele Viren und Pilze in ihr brüteten. Ich würde auch das große Handtuch wegwerfen, das Toilettenpapier und die Zahnbürsten. Sie hielt sich lange dort auf, bis wir die Wasserspülung hörten. Der Junge fragte, warum sie Wunden am Mund habe und wie lange sie bei uns bleibe, und ich, statt ihm zu antworten, sagte: »Du gehst nicht auf die Toilette, bis ich alles geputzt und die Kloschüssel desinfiziert habe, bis dahin machst du in …«
    »Nun, hast du die Polizei angerufen? Sie werden mir nichts tun, ich bin minderjährig, sie werden mich mitnehmen in die Stadt, das ist alles.« Sie kam vom Badezimmer zurück, wie sie hineingegangen war, wild, mit Kiefernnadeln, die von ihrem Kopf abstanden wie die Stacheln eines Stachelschweins. Die Blutkrusten an ihren Lippen waren verschwunden, vermutlich befanden sie sich jetzt an dem kleinen Handtuch, das ich ebenfalls wegwerfen würde. Sie hatte mein Make-up nicht benutzt, um die blaue Beule unter ihrem Auge abzudecken oder um ihre Blässe zu  kaschieren, doch aus ihrem Mund kam der Erdbeergeruch von der Zahnpasta des Jungen. Und während ich bei ihr nach flüssigen, trockenen oder riechenden Anzeichensuchte, zitterten ihre Knie und sie berührte nervös die Lippen.
    »Wähl schon, eins null null, sag ihnen, die kleine russische Hure, dann sind sie in fünf Minuten hier.«
    Nadav sprang wie eine Heuschrecke vom Stuhl, rannte in sein Zimmer und kam mit meinem Telefon zurück. »Ruf an, Mama, ruf schon an.«
    Er wollte, dass die Welt wieder zu ihrem Normalzustand zurückfand, er wollte die Fremde nicht hier bei uns haben, und vor allem wollte er, dass ein richtiger Streifenwagen mit richtigen Polizisten zu uns kam. »Los, Mama, wähle eins null null.«
    »Ich rufe nirgendwo an.«
    Beide erwarteten, dass ich etwas unternahm, und hörten von mir nur, dass ich sie nicht hierhergebracht hatte und es nicht meine Angelegenheit war, wohin sie gehen würde.
    »Also gehe ich nirgendwohin.« Sie setzte sich wieder auf den Fußboden, spreizte die Beine und bat um eine Zigarette.
    »Es gibt keine Zigaretten. Komm, mein Junge, wir ziehen dich an.«
    Er hielt sich an mir fest, zog seine Hose an, fragte, was eine russische Hure sei, und rannte barfuß in die Küche, um sich zu vergewissern, dass die Chance, richtige Polizisten zu treffen, noch nicht verschwunden war.
    »Wie heißt du?«
    Sie hatte keinen Akzent, und ihrer Stimme fehlte jede Weichheit.
    »Nadav.« Er stützte sich mit beiden Händen am Türstock ab und war so aufgeregt, als wäre er zu einem König gerufen worden.
    »Und deine Mutter?«
    »Amia.«
    »Ihr habt ausgefallene Namen. Raucht deine Mutter?«
    Während sie fragte und er antwortete, verdeckte eine Wolke die Sonne, ein Vogel flog über das Haus und schrie, und ich war nicht bereit, darin ein Vorzeichen für die Zukunft zu sehen. Das Leben nimmt seinen Lauf, und nichts hängt mit nichts zusammen. Die Wolke tat, was sie wollte, der Vogel tat, was er wollte, und beide hatten nichts mit unserem Schicksal zu tun. Auch der Junge tat, was er wollte. Nachdem er vergeblich erwartet hatte, dass ich telefoniere, packte er das Telefon, drückte mit ungeübten Fingern eins null null und sagte aufgeregt und ernsthaft: »Kleine russische Hure.«
    Das Lachen der Besucherin erfüllte die Küche. »Was für ein kleiner Mistkerl!«
    Der diensthabende Polizist versuchte, die Meldung zu entschlüsseln, und der Junge, erregt von der göttlichen Stimme, die aus dem Handy an sein Ohr drang, stammelte unsere Adresse, machte das Gerät schnell aus und vervollständigte seine Toilette, um bereit zu sein. Er zog das T-Shirt mit dem Delfin an, das er von Gideon bekommen hatte, rannte zum Fenster, beobachtete die Straße und wartete.  Er beugte sich vor, der Delfin auf seiner Brust wurde gegen das Fensterbrett gedrückt, war aber noch immer auf dem Sprung, einmal in der Woche wurde er in unserer schwächlichen
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