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Wo der Tod begraben liegt (German Edition)

Wo der Tod begraben liegt (German Edition)

Titel: Wo der Tod begraben liegt (German Edition)
Autoren: Martin Gohlke
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Bewusstsein, dass der von ihr postulierte Zusammenhang von Energie und Klarheit im Umkehrschluss bedeutete, dass weniger Energie dem Unklaren Raum geben würde. Das muss aber, relativierte sie, nicht zwangsläufig so sein, denn der Energieentzug kann auch ganz plötzlich und dabei dann unumkehrbar daher kommen. Wäre das, also ein schneller Tod, Manfred eigentlich zu wünschen oder eher nicht? Verpasst der Mensch etwas Wichtiges, wenn er von einem Moment auf den anderen tot umfällt? Viele Menschen hoffen auf so einen Tod, oft entspricht das ihrem Leben; wie gelebt, so will auch gestorben werden: bloß nichts merken.
    Genug der Fragen und Erwägungen, es sind möglicherweise nicht einmal die wichtigsten, die man in dieser Situation anstellen kann, zwang Ilona sich dazu, einen Punkt zu machen. Eine Entscheidung, die ihr gar nicht schwer fiel, denn nach gerade einmal einer halben Stunde, die sie mittlerweile auf ihrem Bett in ihrem Zimmer allein gewesen war, freute sie sich darauf, ihren Mann wiederzusehen. Sogleich trat sie in sein Zimmer.
    „Na?“, fragte er.
    „Na?“
    „Für Heinz Da-Da?“
    „Na kla-ra.“
    Die beiden grienten; im Moment, nur wenige Tage nach dem Tod von Heinz Mastort, schien von der Zärtlichkeit und der neu erlebten Leichtigkeit noch nicht allzu viel verloren gegangen zu sein, auch wenn Manfreds Lebendigkeit schon auf dem Rückzug war. So kompensierte er den Ausfall der Fußballübertragungen nicht mehr mit anderen Aktivitäten, stattdessen schlief er.
    „Es dauert nicht mehr lange und dann bin ich hier der dienstälteste Gast.“
    „Jetzt übertreibst du aber.“
    Zwei der anderen sieben Bewohner waren noch länger im Haus als Manfred. Die durchschnittlich 17-tägige Aufenthaltsdauer überschritt Manfred inzwischen deutlich, wie er selbst wusste: „Ich bin über eine Woche länger am Leben als man es hier gewohnt ist. Hoffentlich wird Frau Reiff nicht langsam ungeduldig.“
    „Manfred! Streich solch schlechte Gedanken!“
    Fast hätte es Ilona mitten in ihrem Satz die Sprache verschlagen, denn augenblicklich wurde ihr bewusst, dass sich bei Manfred genau das gemeldet hatte, was es bisher im Hospiz in den abendlichen Stunden ihrer Glückseligkeit nicht gegeben hatte: schlechte Gedanken. Vielleicht bleibt das ja eine Ausnahme, hoffte Ilona. Sie hoffte umsonst.
    „Es kommt ja im Hospiz nicht darauf an, dem Leben mehr Tage zu geben, sondern den Tagen mehr Leben. So schreibt es das Hospiz auf seiner Homepage. Es ist mir schon klar, wie das zu verstehen ist.“
    Überhaupt nichts ist klar, dachte Ilona; jedenfalls war es das mit deiner Klarheit mal gewesen. Was ist es, was da jetzt spricht? Schwäche? Angst? Panik? Wut? Ilona suchte nach einer empathischen Bemerkung. Aber ihr fiel nichts ein.
    „Irgendetwas will mir an den Kragen.“
    Er fühlt sich verfolgt, dachte Ilona.
     
    *
     
    „Paranoia ist eine mögliche Form der Verwirrtheit, die auftreten kann. Sie müssen sich darauf einstellen, dass so etwas nun öfter vorkommt“, sagte Frau Reiff.
    „Aber er war bisher immer so klar im Kopf“, entgegnete Ilona. „Das Hospiz hat ihm so gut getan...“
    Keiner sagte etwas. Bald erinnerte sich auch Ilona daran, dass Leben Wandel ist. Und Sterben erst recht.
    „So etwas ist nicht ungewöhnlich“, fuhr Frau Reiff irgendwann fort. „Nur etwa ein Drittel der Sterbenden bleibt bis zum Schluss geistig klar. Verwirrtheiten können psychische wie körperliche Ursachen haben. Natürlich kann es sich auch um ein Zusammenspiel beider Faktoren handeln. Gerade bei einer unheilbaren Krankheit nehmen die kognitiven Probleme zu. Es kommt zu Verständigungsproblemen, Störungen der Aufmerksamkeit, der Gedankenprozesse, der Sinneseindrücke, des Gedächtnisses, der Gefühle und des Schlafs.“
    „Funktioniert überhaupt noch was?“, fragte der Professor, wobei er eilends sehr ernst guckte, denn einen möglichen Eindruck von Schalk wollte er auf der Stelle korrigiert wissen. Der vehemente Ausspruch von Robert Lang, das nun mal „Schluss mit lustig!“ sei, hatte ihm zu denken gegeben.
    „Momente der Klarheit sind immer möglich. Wir wissen nicht genau, was den Sterbenden treibt. Vielleicht sind die Verwirrtheiten Ausdruck der Nebenwirkungen von Medikamenten. Das kann natürlich sein, ich glaube aber eher, dass der Sterbende intensiv nach einem Verhältnis zu seinem Leben und seinem Tod sucht.“
    Der Helfer des Professors saß etwas abseits von den anderen und tippte irgendetwas in sein
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