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Wo der Tod begraben liegt (German Edition)

Wo der Tod begraben liegt (German Edition)

Titel: Wo der Tod begraben liegt (German Edition)
Autoren: Martin Gohlke
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augenblicklich guttat. Sein Gesicht entspannte sich und sogleich schlief er erneut ein.
    Frau Reiff hatte längst das Zimmer verlassen und der Helfer des Professors alle mit Kaffee und Kuchen versorgt, als Manfreds Augen sich wieder öffneten. Nun zeigte sein Antlitz weder Trauer noch Gefasstheit noch irgendeinen anderen einwandfrei zu bestimmenden Ausdruck.
    „Dada“, brummelte der Professor und machte einen Scheibenwischer. Ilona guckte barsch und zog unmissverständlich den Zeigefinger an ihren Mund.
    Das Kopfteil von Manfreds Bett war etwas hoch gestellt, so konnte er mit einer leichten Nackendrehung den Raum samt Personen leicht erfassen. Länger blickte er in die Leere.
    Der Professor überlegte gerade, um Manfred Orientierung zu geben, eine kurze Bemerkung zu machen, da setzte Manfred zum Sprechen an. Von einem Moment auf den anderen trat Lebendigkeit in sein Gesicht.
    „Das ist falsch!“, sagte Manfred.
    Zeitgleich öffneten Ilona und der Professor den Mund. Eine so kraftvolle Stimme hatten sie nicht erwartet.
    „Absolut falsch. Eine Dekade umfasst keine zehn Jahre! Blödsinn ist das. Die Schaltjahre müssen sich auf dem Niveau des Dezimalsystems in die Dekade einordnen lassen. Eine Dekade umfasst“, Manfred machte eine kurze Pause, um die Spannung seines Publikums zu steigern, „eine Dekade umfasst somit 40 Jahre.“
    Kurz schien Manfred zu lächeln. Dann schlief er augenblicklich wieder ein.
    Die Münder der anderen Anwesenden im Raum blieben noch eine ganze Zeit geöffnet, bevor der Professor das Wort ergriff. „Was war das denn?“ – eine lediglich rhetorische Frage. Denn natürlich wusste er, dass Manfred lediglich gesponnen hatte, wieder einmal, musste man inzwischen sagen.
    „Schreib‘ das mal mit, tipp‘ das mal in dein Trafophone“, sprach der Professor leise aber deutlich Richtung Zimmertür, denn ihm war nicht entgangen, dass sein Helfer darauf achtete, von seinem Platz im Flur möglichst alles mitzubekommen, was sich im Zimmer abspielte.
    „Smartphone... Sowieso“, kam es kurz und trocken zurück.
    Ein weiteres Mal wachte Manfred auf. Diesmal schien er Ilona zu erkennen, denn lächelnd verlangte er nach ihrer Hand. Gespannt sehnte sich Ilona nach einer klaren Äußerung ihres Mannes.
    „Ilona, ich hätte gar nicht zuhören sollen. Über die Rede von Adolf Wegemann kann ich nur den Kopf schütteln. Das humanistische Gymnasium ist nie und nimmer 1856 gegründet worden. Der Humanismus ist nämlich schon in der Renaissance anzusetzen. Eine Grundsteinlegung der Schule muss also schon im 15. Jahrhundert erfolgt sein. Verstehst du das?“
    Der Professor konnte seine Entscheidung, dem Ernst der Lage entsprechend jede weitere Albernheit zu vermeiden, nun nicht durchhalten. Von seinem ausgestreckten Daumen nach oben und dem Kommentar „Klasse“ bekam Manfred aber schon nichts mehr mit, da er gleich nach seiner Äußerung erschöpft in den Schlaf versank.
    Eine Stunde später, sowohl der Professor war auf der eigens für ihn ins Zimmer gestellte Couch als auch Ilona auf ihrer Liege eingenickt, riss Manfred wie aus dem Nichts die Augen auf. Er atmete so laut und schwer, dass Ilona und der Professor sogleich aus ihrem leichten Schlaf geholt wurden, und die Worte hörten: „Paul Seligen war ein feiner Mensch. Man soll ihn nicht verurteilen, nur weil er ein paar Bolschewisten fertiggemacht hat.“
    Ilona schaute, obwohl noch schlaftrunken, den Professor fragend ins Gesicht, der ihre im Moment nur äußerst lückenhaften Vorstellungen, die sie mit dem Namen Paul Seligen verbinden konnte, zu vervollständigen half: „Paul Seligen war zur NS-Zeit der Schulleiter im humanistischen Gymnasium. Eine arme Sau im Prinzip. Kein Killer.“
    „Und warum verteidigt Manfred ihn?“
    „Macht er doch gar nicht, der weiß doch gar nicht mehr, was er sagt!“
    „Ach ja, genau“, grummelte Ilona, „einen Moment war ich verwirrt.“ Sprach‘s und schlief weiter.
     
    *
     
    Es war weit nach Mitternacht, als der Helfer den Professor und Ilona zum Nachtmahl in den Aufenthaltsraum des Hospiz rief. Eine Suppe war gekocht, dazu gab es Brot und Weißwein. Als Nachtisch wartete eine Schüssel mit Salinos.
    „Was hat er heute alles für ein Wirrwarr erzählt“, begann Ilona.
    „Zwei Mal war er noch klar“, ergänzte der Professor.
    „Zwei Mal?“, fragte Ilona. „Ich kann mich nur an ein Mal erinnern.“
    Der Helfer holte das Smartphone aus seiner Vliesjacke, bediente kurz das Menü und studierte sodann
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