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Wo der Tod begraben liegt (German Edition)

Wo der Tod begraben liegt (German Edition)

Titel: Wo der Tod begraben liegt (German Edition)
Autoren: Martin Gohlke
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Smartphone.
    „In der inzwischen umfangreichen Literatur, die es über die Beobachtung von Sterbenden gibt, werden neben all diesen Sachen auch Probleme in der Familie genannt, die einen Sterbenden zu allerhand Verrücktheiten treiben können. Letztendlich ist es für die Gerontologie sehr schwierig, bei der Frage nach den Ursachen und Erscheinungen von Verwirrtheiten sicheres Wissen zu schaffen. Wir können ja keine belastbaren Interviews mit Menschen, die in ihren letzten Tagen leben, durchführen. Ich sage immer: Jeder stirbt anders, aber es gibt ein paar gemeinsame Nenner.“
    Der Helfer des Professors hatte bei den Sätzen von Frau Reiff einmal kurz aufgeschaut. Dann tippte er ein weiteres Wort in sein Smartphone.
     
    *
     
    „Wann sind denn eigentlich die letzten Tage?“, sprach Ilona mehr mit sich selbst als mit dem Professor, mit dem sie eingehakt in dem großen Vorgarten des Hospiz spazieren ging.
    Für den Professor war Ilonas Frage leicht zu beantworten. „Manfred isst nicht mehr, trinkt kaum noch was und schläft immer mehr. Und wenn er wach ist, spinnt er zwar nicht immer, aber immer öfter. Wobei, wenn es nicht so traurig wäre, dann könnte man ja manchmal lachen.“
    „Allerdings. Gestern nach dem Wachwerden faselte er, dass Legasthenie von den Menschen viel zu oft falsch geschrieben wird. Da hat sich ein früheres Lebensthema bei ihm gemeldet.“
    „Ich weiß Ilona, ich bin ja mittlerweile auch stets in seinem Zimmer, nachdem er eingefordert hatte, dass unbedingt ein habilitierter Wissenschaftler bis zu seinem nächsten Urlaub in seiner Nähe sein muss.“
    „Wobei er sich als Urlaub eine Fahrradtour über die Alpen vorstellte... So etwas hatte er mal vor 20 Jahren geplant.“
    Ilona und der Professor hielten sich stärker aneinander fest, als sie leise aber anhaltend gackern mussten.
    „Wir dürfen nicht...“
    „Doch, wir dürfen lachen, Ilona. Das erzählt dir jede gute Seelenberater. Mit ‚So ist das Leben‘ begründen sie dann, warum das vollkommen in Ordnung ist.“
    „Das ist aber banal.“
    „Ganz bestimmt ist es das, aber wenn wir nur ein Zufall der Evolution sind, dann kommt das hin.“
    „Und? Sind wir das?“
    „Du kennst meine Einschätzung. Es ist die gleiche wie die von Manfred. Es hat einen Grund, warum er sich ein weltlich orientiertes Hospiz aussuchte.“
    „Liebst du...?“
    „Ich bitte dich“, unterbrach der Professor. „Über alles. Wir sind Brüder im Geiste, er ist lediglich zerrissener. Seine Mama wird ihn noch weniger gehalten haben als meine.“
    "Hm... Eine sehr mutige Erklärung.“
    „ Stimmt“, zögerte der Professor mit seiner Antwort, „denn die Erklärung ist monokausal. Das Verhalten der Menschen erklärt sich aus den Verhältnissen, aus psychologischen Gegebenheiten und aus unserer Natur, d.h. dem Tatbestand, dass wir von den Tieren abstammen; letzteres wird vollkommen unterschätzt. Welche der drei Gründe welchen Anteil an unseren Verhaltensweisen genau beanspruchen darf, kann letztendlich niemand mit Sicherheit sagen.“
    Ilona blieb stehen und drehte sich zum Professor. Sie streichelte seine Wange, als sie sagte: „Frau Reiff ist auch ein bisschen wie ihr.“
    „Manfred hat das gleich bei der Ankunft als Geschenk empfunden.“
    Ilona und der Professor gingen schweigend eine weitere Runde durch den kunstvoll angelegten, parkähnlichen Vorgarten, der an jedem Ort eine andere Sicht auf die vielfältigen Gewächse gab. Sie wollte sich gerade auf die Bank setzen, da erschien der Helfer des Professors auf der Terrasse und rief: „Kommt ihr bitte? Manfred ist aufgewacht und fragt aufgeregt nach seinem habilitierten Kollegen und dessen Frau Ilona.“
     
    *
     
    Als Ilona und der Professor im Zimmer ankamen, schien Manfreds Verwirrung verschwunden zu sein. Mit klaren Worten begrüßte er die beiden, worauf Ilona Frau Reiff einen erleichterten Blick zuwarf.
    Mit einer langsamen Handbewegung fasste sich Manfred an die Stirn. Mit angestrengten Blick, der sowohl Trauer wie Gefasstheit zeigte, flüsterte er: „Ich schwitze nur noch wenig.“ Offensichtlich wusste er, dass das kein gutes Zeichen ist. Eine Infusionstherapie hatte er bereits bald nach Eintritt ins Hospiz, als er zusammen mit Ilona einige Angaben zu möglichen Behandlungsoptionen machen musste, abgelehnt. Ilona beugte ihren Kopf über Manfred und knuddelte mit ihrer Nase kurz seine Stirn, bevor sie mit einem nassen Tuch seine Lippen, seinen Mund und seinen Rachen befeuchtete, was ihm
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