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Wo der Tod begraben liegt (German Edition)

Wo der Tod begraben liegt (German Edition)

Titel: Wo der Tod begraben liegt (German Edition)
Autoren: Martin Gohlke
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Beobachtung eines einzigen Fußballspiels konzentrierte. „Diese Vielzahl von Fußballspielen pro Wochenende, ja oft pro Tag, haben mich irgendwann verrückt gemacht“, klärte er Manfred auf. Wobei Heinz Mastort postwendend über seine Äußerung nachdenken musste. Einen Moment schien er zu grübeln, ob er lachen oder weinen sollte. Dann prustete er los.
    Bei der Konzentration auf das eine Fußballspiel handelte es sich nicht um das von den Fernsehanstalten ausgesuchte, sogenannte „Spiel der Woche“. Nein, Heinz Mastort wäre auch das längst zu viel gewesen. Seit fünf Jahren schaute er nur noch ein Spiel, immer das gleiche. Einmal täglich verfolgte er hochkonzentriert das Bundesligaspiel Werder Bremen gegen Bayern München vom 2. März 1974. Uwe Bracht hatte die Bremer in der 30. Minute mit Eins zu Null in Führung gebracht. Uli Hoeneß glich in der zweiten Halbzeit aus. Innenverteidiger, damals hieß das Vorstopper, war bei Werder Bremen Horst-Dieter Höttges – der Namensgeber für den Bernhardiner von Heinz Mastort. Als Linksaußen spielte bei Werder ein Spieler namens Görts, mit Vornamen hieß dieser Fußballer Werner.
    Heinz Mastort, dem natürlich, wie allen Gästen im Hospiz, nur noch beschränkte Kräfte zur Verfügung standen, konzentrierte seine Energien ganz auf seinen Einsatz bei seiner täglichen Schau des Fußballspiels. Seine Anstrengung beinhaltete, den Verlauf des Spiels so ausführlich, wie es seine Kräfte noch zu ließen, zu kommentieren; seine mehrhundertfache Erfahrung in der Beobachtung dieser immer ein- und derselben Partie hatte ihn bei seinen Spielkommentaren im Laufe der Zeit zum Propheten werden lassen, was er täglich aufs Neue genoss. Seine Kenntnisse ermöglichten ihm nicht nur die Vorhersage und oft innovative und kreative Umschreibung von Toren, Fouls und Handgemengen, sondern bezog auch Kleinigkeiten wie Schattenwürfe durch Tribünenbauten oder Vogelflugeinlagen mit ein. Den Ton hatte Heinz Mastort von einem Fachmann weitgehend eliminieren lassen, zu hören waren lediglich die Außengeräusche mit dem Zuschauer-, Spieler- und Trainergeschrei sowie die Stimme des Reporters, sofern er das Wort Höttges aussprach, was in den 93 Spielminuten genau 68 Mal geschah. Das Wort war von Heinz Mastort mit Bedacht ausgewählt worden, denn es sollte die Aufmerksamkeit seines gleichnamigen Hundes stärken. So geschah es in der Tat. Jedes Mal, wenn „Höttges“ aus dem Lautsprecher kam, konterte Hund Höttges mit einem breiten „Wuff“, also 68 Mal, eine Äußerung, die Heinz Mastort facettenreich in seine Reportage einzubinden wusste.
    Stets pünktlich um 17 Uhr pfiff Heinz Mastort das Spiel in seinem Zimmer persönlich an. Zahlreiche Gäste sowie deren Angehörige und die Mitarbeiter waren dann zugegen. Die immer wieder anders verlaufende Reportage von Heinz Mastort verfolgte stets die Mehrheit aller im Haus Anwesenden. Einmal lagen, saßen oder standen 23 Menschen im Zimmer von Heinz Mastort, was 0,93 Personen pro Quadratmeter entsprach, wie Manfred ausgerechnet hatte.
    Nach dem Spiel, über dessen Ergebnis Heinz Mastort jedes Mal von Neuem den Kopf schüttelte, brachten sich alle Gäste eilig in ihre Gemächer und fielen, unterstützt von einer hochwirksamen Schmerztherapie, in den Tiefschlaf.
    Nur Manfred stellte bezüglich des Kräfteschwunds eine Ausnahme dar. Das viele Lachen bei „Keiner wird gewinnen“, wie Heinz Mastorts Fußballpräsentation im Haus gern vielsagend genannt wurde, ermattete zwar auch ihn, lud seine Batterien aber zugleich auf. Bis in die Nacht hinein lebte er so zuweilen noch eine bewusste Zweisamkeit mit Ilona. „Ich fühle mich kräftiger als bei meiner Ankunft“, sprach er bald zu Frau Reiff.
     
    *
     
    „Das ist toll, dass Manfred es nochmal so lustig hat. Der Irre scheint dem ganzen Haus gut zu tun.“
    „Heinz Mastort ist nicht irre“, widersprach der Professor seinem jungen Helfer. „Er hat sich entschieden, dass das Leben absurd ist. Und fährt eine dementsprechende Strategie. Wohl selbst jetzt im stillen Todeskampf.“
    Seit sechs Tagen hatte es im Haus keine Fußballübertragung mehr gegeben. Beim vormittäglichen Besuch im Hospiz hatte der Professor zudem erfahren, dass Heinz Mastort seit vorgestern nicht mehr permanent bei Bewusstsein ist und dass sich seit der letzten Nacht ein leises Rasseln in sein Atemgeräusch mischt, was seit dem Morgen deutlich lauter wurde. Ein untrügliches Zeichen für das baldige Ende.
    „Es kann sich nur
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