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Wissenschaft und Demokratie (edition unseld) (German Edition)

Wissenschaft und Demokratie (edition unseld) (German Edition)

Titel: Wissenschaft und Demokratie (edition unseld) (German Edition)
Autoren: Michael Hagner
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ein Beispiel für die Instrumente zur partiellen Überbrückung der Kluft zwischen der Größe der Probleme, mit denen wir konfrontiert sind, und unserem begrenzten Vermögen zu verständnisvoller, aufmerksamer Betrachtung. Das gilt besonders dann, wenn wir die durch digitale Informationen gebotene Chance nutzen, Dokumente aus dem wissenschaftlichen und aus dem öffentlichen Bereich im selben optischen Raum zusammenzubringen.
    Zunächst ist die Verwirrung furchtbar, so als wären Tatsachen und Meinungen durcheinandergemischt. Aber darum geht es ja gerade: Tatsachen und Meinungen sind schon durcheinandergemischt, und künftig werden sie in noch höherem Maße durcheinandergemischt sein. Was wir nicht benötigen, ist ein weiterer Versuch, die Welt der Wissenschaft und die Welt der Politik gegeneinander zu isolieren. Wie soll man sich das überhaupt vorstellen, das Funktionieren eines solchen Programms ausgerechnet im Anthropozän – diesem größten aller Kuddelmuddel – zu gewährleisten? Was wir benötigen, ist der Versuch, das relative Gewicht der ineinander verhedderten Kosmologien mit Hilfe einer neuen Metrologie zu entziffern. Da es jetzt die Welten sind, die in Frage stehen, wollen wir Kosmologien miteinander vergleichen. Anstatt zu versuchen, das nicht mehr Unterscheidbare zu unterscheiden, sollte man die folgenden Schlüsselfragen stellen: Welche Welt ist das, die ihr da zusammenfügt? Mit welchen Personen stimmt ihr euch ab? Mit welchen Entitäten habt ihr vor zusammenzuleben?
    Genau dieses Vorgehen hat es vor kurzem den Forschern erlaubt, mitzuverfolgen, wie das menschliche Verschulden exzessiver Klimaphänomene – ein Faktum, das vor 15 oder 20 Jahren als nachgewiesen galt – in den Augen von Millionen von Menschen zu einer bloßen Meinung degradiert wurde. Sehr rasch gelang es den Forschern mit Hilfe der gleichen Instrumente, die dem Registrieren der Wissenschaftsproduktion dienen (Suchmaschinen, szientometrische und bibliometrische Werkzeuge, Karten der Blogosphären), den Personen, Lobbys, Gutachten und Geldströmen derjenigen nachzuspüren, die darauf bestanden, aus diesem Thema eine Kontroverse zu machen. Hier denke ich an die Arbeiten von Naomi Oreskes und James Hoggan. Wie aufschlußreich es doch ist, die Verbindungen sichtbar zu machen, die zwischen Ölindustrie, Zigarettenherstellern, Abtreibungsgegnern, Kreationisten, Republikanern und einer Weltsicht bestehen, die sehr wenige Menschen und sehr wenige natürliche Entitäten beinhaltet. Wenn es wirklich so ist, daß hier Kosmogramme gegen Kosmogramme antreten, dann wollen wir Kosmogramme miteinander vergleichen. Das ist es, was aus der Politik geworden ist. Nun, da es ein Krieg der Welten ist, wollen wir die Welten gegeneinander Aufstellung nehmen lassen.
    Genau darum habe ich versucht, die Wörter »Komposition« und »Kompositionismus« in die Philosophie einzuführen. Der Grund liegt also nicht nur darin, daß hier eine hübsche Verbindung zu »Kompost« besteht. Vielmehr kann damit zudem genau beschrieben werden, welche Art von Politik dem Weg der Klimaforschung folgen könnte. Die Aufgabe dürfte kaum die sein, die Klimaforschung vom unzulässigen Gewicht politischer Einflüsse »zu befreien«. (Das entspräche der These des texanischen Gouverneurs Rick Perry, die Wissenschaftler seien wegen der Fördergelder im Geschäft und wegen der Chance, eine sozialistische Agenda durchzusetzen, die nicht einmal Lenin den couragierten Yankees habe aufoktroyieren können.) Nein, die Aufgabe besteht darin, den Fäden zu folgen, aus denen die Klimaforscher die Modelle zusammengesetzt haben, die erforderlich sind, um die ganze Erde auf die Bühne zu bringen. Haben wir diese Lektion gelernt, können wir damit beginnen, uns auszumalen, wie dasselbe im Hinblick auf unsere Bemühungen zu leisten wäre, einen politischen Körper zusammenzufügen, der seinen Teil der Verantwortung für den sich wandelnden Zustand der Erde übernehmen kann.
    Dieses Gemisch aus Wissenschaft und Politik wird ja eben durch den Begriff des Anthropozäns verkörpert. Warum sollten wir weiterhin versuchen, Dinge voneinander zu trennen , die von den Geologen – einem Menschenschlag, dessen Geradsinnigkeit ihresgleichen sucht – durcheinandergemischt worden sind? Im Grunde hat es der Geist unserer Sprache immer schon gesagt, indem er Humus , human und Humanität miteinander verband. Wir Erdlinge sind aus ebenjenem Boden und Staub hervorgegangen, zu dem wir auch wieder zurückkehren
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